Freitag, 27. August 2010

Fremdsprache

Eigentlich ist es für eine Nordeuropäerin ja doch irgendwie schier unvorstellbar, dass der Sommer wirklich ein Sommer ist und ungebrochen über Wochen, ja Monate hinweg anhalten kann.
Hier, am südwestlichsten Zipfel Europas ist der Sommer der Durchschnittszustand. Und immer, wenn einEr denkt: So, jetzt wird es kühler - weil eine Nacht mal taufeucht erwacht und ein paar Wolkenfelder über den ansonsten azurblauen Himmel ziehen - dann holt der Sommer nur noch einmal tiefer Luft und erhöht die Thermostattemperatur erneut um einige Millimeter. Nie hätte ich gedacht, dass ich 49°C im Schatten mal "angenehm" finden könnte. Nun ja, alles ist ja bekanntlich relativ.

Wirklich demütig hier machen mich aber die Pflanzen. Sie können ja nicht "mal eben" in den Schatten ausweichen, wenn die Sonne mittäglich alles zu Suppe zerkocht. Aber sie haben ihre Strategien gefunden - sich zum Beispiel gegenseitig Schatten zu spenden. So genannten "Verdrängungswettbewerb" gibt es hier nicht wirklich - warum auch, das Land ist im wesentlichen und unermesslich leer. Statt dessen rücken die Damen und Herren Fenchel, Zistrose, Labkraut und was sonst noch kreucht näher zusammen, halten das Tauwasser fest bis in den späten Vormittag - und schützen sich vor Trampeltieren durch undurchdringliches Dickicht, um das alles einen weiten Bogen macht. Ganz zu schweigen vom gemeinsam gebildeten Schattendach: Beschattest du mich, beschatte ich dich. Ein echtes Lehrstück in Gemeinschaftsbildung.

MenschIn könnte ja meinen, ein solch Sonnengeflutetes Land wäre um die Hochsommerzeit dann ein Meer von Asche. Nun, es überwiegen die Erdfarben, keine Frage. Umbra und Ocker in allen denk- und bildbaren Schattierungen, manchmal von solcher Tiefe, dass es aussieht, als blute das Land aus einer unstillbaren Wunde. Gelegentlich von solcher Luftigkeit, dass eine glauben könnte, der Horizont neige sich dem Himmel entgegen, startbereit für einen Flug auf allgegenwärtigen Staubflügeln. Doch dann fällt die Sonne ins Meer und übergießt alles und jedEn mit einem Licht der Schönheit, rot wird alles und leuchtend von Innen. Und die Bäume glitzern in unzähligen Grüntönen, Silber-, Grau- und Schwarzwaldgrün, der ewige Frühling der Platanen, das flüsternde Grün der Weiden und Erlen, die mit ihren Fingerzweigen über die wenigen und unergründlichen Wasserflächen streichen, das Hustenbonbonfarbene Grün des duftenden Eukalyptus und ihr besänftigender Konterpart, das stille Grün der Kork- und Steineichen. Grüner als alle mitteleuropäischen Sommergrüns ist dieses Grün des Südens, vielleicht, weil es nicht so allgegenwärtig, soviel kostbarer ist und meist nur dort zu finden, wo auch das Wasser wohnt, verborgen und eine seltene Schönheit. Und dazwischen, wie hingeworfene Schriftzeichen einer untergegangenen Sprache, die schwarzen und grauen, violetten Baum-Ahnen, ohne Blätter und wie ohne Leben doch lebendiger Teil der Landschaft, schwarze Gravuren und Geschichtenrauner, leiser Griff in die Seele.

Staubtrocken ist dieses Land und doch jede Nacht klatschnass. Die Häuser sind niedrig und blau und gelb umrandet, gegen den "bösen Blick" sagt man und einEr fragt sich, ob dieser von Innen oder von Aussen kommt. Die Menschen sind klein und stolz auf eine seltsam weiche Art und Weise, unaufdringlich doch schwer zu übersehen. Vielleicht, weil es von ihnen nicht so viele gibt.

Und drumherum das unergründliche Meer, Königinnen-Blau, flüssiges Lapislazuli an einem zugewandten Tag. Voller Gischtherden, stahlgrau und bleischwer zur anderen Zeit, ein sicheres Zeichen, dass die große Herrscherin heute ungestört ihren eigenen Tiefen lauschen will. Wie die anderen Meeresbewohnerinnen habe ich inzwischen - zumindest im Ansatz - gelernt, ihren unausgesprochenen Worten Gehör zu schenken, an ihren Gestaden zu verweilen und mich beschenken zu lassen von ausgewaschenen Skeletten und handschmeichelnden Steinen, die zu hunderten inzwischen meinen Caravan bevölkern. Und jeder Besuch ist eine Audienz, aus der ich gestillt hervorgehe, meine Kleider zu trocknen im Sommerwind.

Eine Fremde bin ich hier mit meinem weizenblonden Haar, den Augen aus geborstenen Himmeln und der milchweissen Haut, die dennoch schon einen dauerhaften Latte Macchiato-Schimmer hat. Wie eine exotische Pflanze rage ich mit meiner Körpergröße aus den heimischen Gewächsen heraus, die noch nicht wissen, ob sie mir Zuflucht gewähren werden. Und ich spreche in fremden Zungen, bin mir selber unbehaust und muss mich immer noch einrichten in der Unbewohnbarkeit. Aber ich liebe schon einmal, und dass ist das Beste von allem.

Demütig macht mich das, nicht klein, plötzlich und unerwartet zu wissen, wie das ist, Einwanderin zu sein, Migrantin. An die Menschen aus der Fremde in Deutschland muss ich denken, und wie selbstverständlich dass einEr sein kann, wie ungefühlt, wenn einEr ganz ungefragt da herkommt, wo sie sich befindet. Und wie anders das wird, wenn einEr denn Standort wechselt. Wie schwer es wird, das Eigene in eine fremde Sprache zu gießen, weil es da den Schatz der Muttersprache gibt, die dem Sein und Gefühlten erst Bedeutung und Substanz verleiht. Inneres Erstummen ist eben nicht "Silence", Verunsicherung nicht "Confusao". Erst als Eintritt-Begehrende wird mir deutlich, wievielt Zu-Wendung es braucht, um das Fremde zum Eigenen zu machen und das Eigene zur Verhandlung zu stellen. Zeit für eine Weltsprache, ein Esperanto, die vielleicht zusammen trägt, was das Beste aus allen Welten ist …

Mittwoch, 11. August 2010

Schmelzen.

Ja, ja, die Zeit geht dahin. Rast. Fällt. Schleicht. Keine Ahnung, wohin. Vielleicht da, hinter den Hügel, über den Berg, fällt in ein Loch, stürzt sich in den universellen Abgrund, schleudert sich um sich selbst um am anderen Ende wieder hervor zu kriechen, schneckengleich, echsengeschwind, langsam blitzesschnelle ...

Die Welt rollt um sich selbst und ab und an treffe ich auf ein Stückchen. Da erreichen mich Bilder aus der Toskana vom Frauentreffen und ich denke: Da sieht es aus wie hier. Irgendwo gibt es ein brennendes, atomverseuchtes Land. Und in Deutschland regnet es ...

Hier nicht. Die Augusthitze hat alles zerschmolzen, die Bewegungen werden langsamer und langsamer und erstarren schließlich in einem leisen Fliessen. Fliegen sind die einzigen Motoren, deren Gebrumm unsagbar laut durch die mittägliche Stille hallt. Und die Erde knackt im Anstrum der Photonen. Ansonsten - geschieht hier eben nichts von dem, was sonst so geschieht, da, wo das Geschehen sich niedergelassen hat. Sommer eben. Stillstandzeit wie andernorts im Winter.

Die Menschen haben so ihre Mühe damit. Irgend etwas muss doch passieren. Nun gut, dann bauen wir halt den Solarturm - solange, bis der erste mit Hitzschlag von der Leiter fällt. Oder hacken den Weg - bis an die Grenze des ermüdeten Metalls, das plötzlich zu weich wird um sich noch unbeschadet in den Schieferboden zu bohren. Zorn kommt auf und Ärger über soviel Widerstand der Materie. Und Alina fragt mich: Wer hat eigentlich den Krieg erfunden? Und ich denke: Wahrscheinlich welche, die sich im Sommer gelangweilt und geärgert haben ...

Ich verstehe, es ist schwer zu ertragen, dieses an-dauernde "Urlaubsgefühl". Natürlich gibt es viele Dinge zu tun und die Not-Wendigkeiten scheinen augensichtlich. Aber es geht halt nicht wirklich, der Süden widersteht dieser aufdringlichen Weltgestalterei und ist sich selbst genug. Und wir Menschen - können nur zu Erde schmelzen oder am Schlaganfall krepieren, mehr Varianten gibt es hier nicht. Gefällt mir, auch wenn ich mich selbt hin und wieder ganz "nutz-los" fühle. Aber das wird schon werden. Spätestens, wenn der erste Regen kommt ....

Und ansonsten - habe ich ein Haus gemietet - für den sogenannten Winter. Und dabei festgestellt, dass ich das Bild dieses Hauses schon lange in mir trage. Jetzt ist es Wirklichkeit geworden. Gerade klein genug, um nicht aufdringlich zu sein. Gerade renoviert genug, um nicht in ein neues Arbeitsprojekt auszuarten. Gerade weit weg genug um mir Freiraum zu geben hier im Potpourri der menschlcihen Gemeinschaftspsyche. Und gerade nah genug, um zu Laufen. Genau mein Maß, sozusagen. Ab September. Wenn ich bis dahin in eine neue Form zerlaufen bin ...

Montag, 2. August 2010

Pflanzenzeit. Sommerzeit. Zeitlos.

Nur noch wenige Tage und wir sind dann bald schon 6 Wochen hier. Und langsam spüre ich das Ankommen kommen …
Nach den hektischen ersten Tagen mit viel Herum-Gerenne in arger Hitze um all die Dinge zu tun, die eine so zu tun gedenkt - Schattendächer bauen, Tische kaufen, Platten, Krüge, Schuhe, Hüte …. kaufen, ans Meer fahren, in die Berge, diesen schönen Platz und jenen Menschen treffen - schleicht sich nun doch so langsam die Langsamkeit in meine Glieder. Schlafen. Schlafen und Essen. Und wieder schlafen. Musik hören. Dem nächtlichen Grillenkonzert lauschen. Und den Gesängen des Bodens … und immer mehr und noch mehr Lauschen: Dem Wind in den Olivenhainen. Dem Knistern der glühenden Erde, wenn die Lehmschicht in der Mittagshitze birst. Dem morgendlichen Schmatzen, wenn die vom Tau noch feuchten Gräser eingesogen werden vom Durst des Landes … Und ab und an am Computer sitzen, nicht all zu häufig - und hast du nicht gesehen hat dich eine Spinne in ihr Netz eingesponnen, wo du eben mit einer Freundin im weltweiten über Vernetzung philosophiertest …

Zum Pinkeln gehe ich fünf Schritte vor die Tür - keine Verschwendung von Trinkwasser mehr für die Entsorgung von Körperflüssigkeiten. Cremes und Lotionen sind im Korb unter dem Bett verschwunden - da ich mich sowieso nur noch recht selten mit Wasser benetze, um mich zu waschen sind sie überflüssig geworden. Meine Haut- und Körperfette haben diese Arbeit wieder aufgenommen. Ich rieche nach Meerwasser, Schweiss und Wind - und meine jahrelang von Neurodermitis geplagte Haut kommt völlig zur Ruhe, findet ins Gleichgewicht ganz ohne Mittelchen und Kuren. Weniger ist halt doch erstaunlich oft mehr.

Ich wohne draussen, bald 20 Stunden unter freiem Himmel. Ich esse hier, schlafe hier, schreibe, denke, liebe hier. Fast alle Habseligkeiten stehen Draussen, der Sonne, dem Wind und den MitbewohnerInnen ausgesetzt, die ihre Spuren ganz selbstverständlich hinterlassen. Spinnennetze im Wasserkrug, Ameisenaufläufe in den Aquarellfarben und die Spuren einer nächtlichen Besucherin auf dem noch feuchten Bild im Tagebuch … Ich fühle mich nicht ausgesetzt, sondern hineingenommen und bin ganz berührt von so viel freundschaftlicher Platzmacherei für mich Riesin mit Wagen. Immerhin ist hier - wie eben überall - jedes Fleckchen Erde von vielen Völkern bewohnt. Die, so scheint es, mit Assimilation und Zuwanderung keine Probleme haben. Statt dessen meine überflüssig gewordenen Unterhosen zum Nestbau verwenden. Recycling für die Schutzzonen des spätkapitalistischen Neo-Patriarchats.

Wir Menschinnen und Menschen hier tun uns da schon schwerer mit dem Zueinander-Kommen, Aufnehmen und Freiraum schaffen für Ungewohntes und Neues. Starre Tierchen sind wir, die oft nicht einmal mehr wissen, wie und wo es zu dieser Halsstarrigkeit gekommen ist. Meins. Deins. So, wie ich eben bin. Und nicht eben so wie du. Da werden Diskussionen und Aus-Einander-Setzungen notwendig, obwohl der Wunsch doch Zusammenkommen ist. Da müssen Grenzen begangen, ausgelotet und abgesteckt werden, bevor der erste Abriss beginnen kann. Da muss meines erst zu mir finden, damit ich dir das deine lassen kann.

Aber so ist es eben mit uns Menschinnen und Menschen, jüngstes Hervorspringsel einer lustvoll schöpferischen Gestaltung. Ein bisschen wackelig noch auf unseren Beinen staksen wir durch ein Meer Jahrmillionen alter Steine die schon längst hinüber gegangen sind ins Land der äusserst beweglichen Bordüren. Tanz, ja. Bewegung, ja. Fluss auch. Ornamentalik der Begegnungen, aber kein entweder. Oder.

So arbeiten wir uns hier gemeinsam zu Zwanzigst durch die Häute der menschheitlichen Frühpubertät. Und stossen auf erstaunliche Erkenntnisse. Frauen. Und Männer. Felder, die einander berühren. Hervorbringen. Stärken, wenn sie in sich selbst schwingen, schwächen, wenn sie nur auf die Aufnahme äusserer Impulse ausgerichtet sind. Und natürlich, der Schmerz des Geboren Werdens. Des Hervor-Gebrachten und Gebracht Werdens. Die Magie der Häute, die es abzustreifen gilt, damit das alte Neubekannte sein Gesicht zeigen kann, Maske des allzu Menschlichen.

Und ich werde weiter zur Pflanze. Atme Sonnenlicht und lagere die Süße des Seins in meine Zellen.

Montag, 12. Juli 2010

Ankommen um Anzukommen

Yeah - für alle, die mit uns gefiebert haben: Wir haben es geschafft! 4027 Kilometer, keinen Berg zwischen hier und Alzey ausgelassen, mit einem schiefen Wohnwagenrad und bis aufs Metall abgefahrenen Vorderreifen sind wir am Dienstag, den irgenwasten Juni (vor 13 Tagen!) in und an unserem Ziel eingelaufen oder besser eingerollt!

Die letzten 100 km waren eine echte "Atemarbeit", denn auf irgendeinem Feldweg - oh, pardon, natürlich einer potugiesischen Bundesstrasse! - machte uns ein besorgter Mitfahrer auf unser eben schon ganz schön gewaltig schief stehendes Wohnwagenrad aufmerksam! Wahrscheinlich das Ergebnis unserer davor-nächtlichen Irrfahrt hinauf in ein Bergdorf auf der Suche nach einem Campingplatz: Irgendwann steckten wir dann mitten auf dem Dorfplatz fest, zwischen Straßen, so schmal wie ein Handtuch breit, meterhohen Bordsteinen und verwaisten Autos, die immer gerade dort standen, wo wir drehen wollten! Was für ein Ereignis! Mittnächtens war das halbe Dorf auf den Beinen um uns aus dem Nadelöhr wieder hinaus zu manövrieren. Was irgendwann auch gelang - aber eben wahrscheinlich zum Preis unseres linken Außenrads. Was ich gelernt habe dabei: Manchmal ist es eben gut NICHT zu wissen, was Sache ist. Hätten wir gleich schon bemerkt, was da unter uns los bzw. schief war - wir wären wahrscheinlich nicht weiter gefahren. Aber so ... 100 km vor dem Ziel, nach 3027 bereits gefahrenen Kilometern ... fuhren wir eben weiter. Die abgefahrenen Vorderreifen entdeckten wir dann zum Glück erst, als wir ankamen, und auch nur, weil uns jemand darauf aufmerksam machte. Fazit: Das Glück ist mit den Närrinnen!

Aber wie gesagt, ein Stück Atemarbeit wars eben auch. Naja, ist auch mal wieder wichtig, richtig durchzuatmen. Ich habe mich exakt gefühlt wie unter der Geburt von Alina: Zurück geht nicht mehr, was vor dir liegt ist ein Mirakel, die ganze Situation hoch dramatisch - also WEITER ATMEN!

Ankommend durfte ich dann erfahren, dass unsere Elsa tatsächlich doch von Menschenkraft bewegbar war: Zu 10 wuchteten ausgeruhte MitbewohnerInnen unseren Wohnwagen an Ort und Stelle, wieder mal einen (diesmal kleinen!) Berg rauf, zärtlich um Baumsetzlinge herum und - einmal graziös um die eigene Achse gedreht - an die Stelle, wo jetzt denn dann mal für die nächste Zeit mein/unser Zu Hause ist.

Tja, und da sind wir denn nun ... Langsam komme ich an, sozusagen im Schneckentempo. Gewöhnungsbedürftig ist es, das Leben halb unter freiem Himmel, ohne Elektrizität und fließendem Wasser, mit Kompostklo und Freiluftdusche. Ohne ständige städtische Geräuschkulisse, dafür voller nächtlicher Tierstimmen und dem ununterbrochenen Gesumme von ca. 1/2 Milliarde Insekten, denen so ein köstliches Mahl wie unsereins wohl selten unter die Fühler kommt - wenn eine mal von der Anzahl der Insektenstiche auf die Attraktivität schließt. Ohne großartige Rückzugsmöglichkeit vor allem vor einer ununterbrochen niederbrennenden Sonne (Schattendächer sind die architektonische Herausforderung der Stunde!), dafür Wind und Wetter im Gespräch mit Wille und Wollen. Und natürlich - Menschen, Frauen, Männer, Kinder, zu Hauf. Und all die Themen, die eben so zusammenkommen wenn Menschen zusammen kommen ... Raum, Nähe, Distanz, Vergangenheit und Sehnsucht, Abfall und der tägliche Spül. Kein Thema wird ausgelassen ...

Habe ich mir das wirklich so vorgestellt? Mein ganzes inneres Aversionsgerüst knarrt und kracht angesichts von 200-Jahre alten Socken, die auf Wiesen ein Freiluftleben führen, Spülbergen, gegen die sich der Himmalaja warm anziehen muss, überall herum liegendem Krempel, Baumaschinen-Spielzeugen, die den Horizont verstellen und, und, und ... all den Themen, die natürlich durch all das Bekannte getriggert werden wie die Bienchen durch den Honig.

Nein, ehrlich gesprochen habe ich mir DAS nicht überlegt. Aber im Menschen liegt eben das Paradies direkt neben der Müllkippe, da kommt keinEr dran vorbei. Klar, die Frage ist berechtigt, ob wir immer erst durch die eine müssen, um in das Andere zu kommen - aber im Moment führt wohl kein Weg daran vorbei. Schließlich ist doch das aktuelle Thema "Recycling" - und Nachhaltigkeit, erneuerbar .... Wahrscheinlich ist es halt so, dass wir vor der Wiederverwendung von Plastik und Co. erst mal einen Weg finden müssen, unsere eigenen, ganz menschlichen Ressourcen aufzubereiten ...

Wenn das gelingt, kommen dann diese Glücksmomente: Wenn 20 Menschen nahzu aller Altersklassen und Geschlechter zusammen sitzen und lachend unter provisorischem Sonnenschutz experimentelles Essen geniessen. Wenn Tränen fließen wo sonst nur Abweisung stockt. Ausflüge ans Meer. Musik, tief in der Nacht. Und ein Wohnwagen, der in 20 Minuten an Ort und Stelle steht.

Es hat also begonnen, mein Gemeinschaftsexperiment. Und klar: In 14 Tagen bin ich schon dreimal (innerlich) ausgezogen. Aber ich habe mich auch viermal selbst überrascht. Und irgendwann wird es ja auch mal wieder kühler. Hoffentlich.

Sonntag, 27. Juni 2010

Von linken Schuhen, blauen Steinen und den Bergen

Eigentlich wäre ja schon letzte Woche mal wieder ein Zwischenbericht fällig gewesen. Aber wie das beim Reisen so ist ... erstens kommt es anders, und zweitens als eine denkt. Zwar sind inzwischen nahezu alle Campingplätze (zumindestens diejenigen, die wir besucht haben) mit WLAN ausgestattet - ein Zugeständnis an die Unentbehrlichkeit digitaler Kommunikation, so wie einst die Poststationen mitten in der Wüste - doch vergißt man dabei allzu leicht, dass es Verarbeitung braucht, bevor eine das Erlebte in Worte und dann auch noch in ein Netz speisen kann.

So habe ich mich denn ein bisschen aus der Welt zurück gezogen um dieselbige auf mich wirken zu lassen. Und was das für eine ist, diese Welt ...! Da gibt es Meere und Berge, Wälder und Steine, Straßen und Städte und Menschen dazwischen ... Aber fangen wir in der Mitte vom Anfang an:

Nach unserer Pause im französischen AdrecheTal im Le Mas Bleu (www.lemasbleu.com) mit wenig Poolliegen (dreimal dürft ihr raten - es regnete immer noch in Strömen!), viel Marktbesuchen (Käse, Käse, Kräuter und wunderbare indische Täschchen, Schals und Kleider!) und gelegentlichem Schwimmen in der Beaume (ja, manchmal regnete es dann auch nicht) fuhren wir am vergangenen Sonntag wieder los. Tatsächlich tauchte der ungeheuer patente Landwirt der "Chataingne" (alle Campingplätze in der Ardeche heißen nach der Kastanie, mal "an", mal "unter" und gelegentlich sogar mal "auf") zum vereinbarten Zeitpunkt wieder auf und schleppte unseren Wohnwagen mit seinem Minitraktor wieder frei. Auch das Anhängen klappte problemlos, so daß wir uns um 11:30 Uhr wieder on the road befanden, diesmal mit dem Ziel "Mittelmeer". Was uns wie ein Katzensprung erschien wurde jedoch bald zu einem wüsten Kampf gegen die Naturgewalten: Wolfgang, vom unerwarteten Müßiggang der Pausenwoche gequält (ja, ja, das Innehalten will halt auch gelernt sein!) hatte sie herbeigerufen: La Mistral! "Der Westwind weht" - intonierte er ein ums ander Mal in Anlehnung an "Chocolat", wo die Windin Menschenfrau und Kind nebst Ahninnenasche vor sich her treibt, unfähig zu bleiben und Fuß zu fassen, getrieben von Ort zu Ort!
Ja, ja, man solte halt immer auf die eigene Rede achten, zumal, wenn man so unbedacht Größen anruft, die weit über den eigenen Horizont reichen. Gerufen - gekommen. So blies also pünktlich zu unserer Abfahrt ein Wind mit einer Stundengeschwindigkeit von satten 400 km - was unsere Reisegeschwindigkeit von stattlichen 80 auf 30 km/h reduzierte. Ganz zu schweigen vom Reisegefühl! Das selbst bei strahlendem Wetter unvermeidliche Schwanken und Springen steigerte sich nun zu einem wilden Herumgeschleudere und wildwestähnlichem Hammelhornreiten, bezwingbar zwar ohne Brechreiz aber dafür trotz niedriger Temperaturen nur mit achselnässendem Körpereinsatz beherrschbar. Wir brauchten also freundliche 9 Stunden, um ans Mittelmeer zu kommen, das uns - da die Windin vom Landesinneren her blies - spiegelglatt, dafür mit sandstechendem Dünenbeissen begrüßte. Schnell wurde das erste Kilo Muscheln trotz meines Einwandes, die Anhängerkupplung sei auch ohne Kalkmassde schon bis an die Bruchgrenze belastet, gesammelt und "nach Hause" geschleppt. Tja, was will eine machen gegen die urgewaltigen Dispositionen: JägerInnen und Sammler.
Trotz unverminderter Windgeschwindigkeit verbrachten wir eine ruhige Nacht, in der sich langsam auch meine Träume beruhigten. Ehemalige Nachbarn besuchten mich, freundliche Masken vielen ab um das Dahinterliegende zu offenbaren. Waschgang, meinte meine Freundin Ana.
Um uns herum wieder Camper aller Nationen - nein, nicht wahr, im wesentlichen HolländerInnen in monströsen Wohnmobilen. Niemals hätte ich gedacht, dass es ganze Luxusvillen auf Rädern gibt, futuristische Kreationen, für die man ganz bestimmte Fahrzeuge mit Anhängerkupplungen auf dem Dach benötigt um sie von der Stelle zu bewegen. Nunja, jedem sein Spielzeug ... oder?
Obwohl ja eigentlich ein Meervolk, das an Winde gewöhnt sein müsste, flohen am nächsten Morgen sämtliche Nachbarn die Küste. Vom Exodus seiner Gäste ein wenig überrollt kommentierte der deutsche Campingplatzbesitzer diese Völkerwanderung mit einem lakonischen Kommentar: Nunja, der Wind ist heuer wohl ein bisschen arg. Aber er bläst in jede Richtung. Recht hat(te) er.
Wir beschlossen - auch wegen des Windes - nun doch nicht am Meer und vor allem "durchs" Meer zu fahren: Entlang der südfranzösischen Küste führt eine Straße auf einer Art Deich mitten durchs Wasser! - sondern ins Landesinnere auszuweichen, Richtung Toulouse. Die Pyrennäen lagen vor uns, und in uns die Hoffnung, sie "obenrum" ein wenig zu umfahren. Aber was ist schon "obenrum". Und überhaupt: Hatte ich nicht während der Fahrt durch das Massif Central, in dessen Mitte die Ardeche fließt geschrieben, wie gut mir die Steine tun? Wie sie mich mit Stärke und Kraft, mit Mut und Stabilität erfüllen?! Eben. Be aware of your wishes!
Da wir mit unserer Maximal-Reisegeschwindigkeit ja bereits in den Genuß des lasterhaften Großmuts der Viel-Peesser gekommen waren, beschlossen wir also Landstraße zu fahren. Und übersahen dabei geflissentlich, das was auf der Karte wie ein sanftes Schlängeln anmutet in Wahrheit ein exorbitantes Auf- und Nieder bedeuten könnte! Voila, les pyrenees!
Wir fuhren also ... und fuhren, und fuhren, und fuhren. Im Nachhinein betrachtet (ich weiß ja inzwischen, was noch vor uns lag ...) lediglich ein kleines Vorspiel zum stetigen Ansteigen und Abfallen des sogenannten Vorgebirges. Durch wunderbare Landschaft voller klarster Luft, Wäldern, so weit das Auge reichte, malerischen Flußtälern und verschlafenen französischen Ortschaften. Und an jeder Wegkreuzung eine Madonna, die hier schon Fatima heisst - wir näherten uns Lourdes.
Der Tag zog dahin, die Straße wurde steiler und steiler, wir immer langsamer - und die Campingplätze immer spärlicher. Was mir noch vor wenigen Tagen Panikhormone durchs Blut gejagt hätte streifte inzwischen nur noch perifer meinen Gedankenhorizont: Diese Reise ist gefüht, dessen war ich mir inzwischen sicher. Wenn es soweit wäre, würden wir den richtigen Platz schon finden. Und sollte uns Achsbruch, Reifenriss und Hirntod ereilen - nun, wir waren im Land der Göttin und der erfindungsreichen Bastler, die nichts kannten, das man nicht wieder reparieren konnte. Was also sollte uns - mal ganz ehrlich - WIRKLICH passieren? Irgendwie schien mein Vorrat an Ängsten und Befürchtungen, an plastisch und phantastisch ausgemalten Katastrophenszenarien langsam aufgebraucht, und eine angenehme Fatalität erfüllte mich. Neben Gedanken an linke Schuhe, die Festigkeit von unbeschreiblichen Wolkenszenarien und der Betrachtung von Zitronenfalter-Gelb an Eisenerz-Grau ... wie kommt es eigentlich, das an Landstrassen immer linke Schuhe liegen? Wegmarken fürderhin einbeinig Reisender, die sich überflüssigen Balastes entledigt hatten ...? Und warum ist Blau eigentlich die Farbe der Sehnsucht?

Wir fanden den Platz für die Nacht, wie gesagt, im Nebenbei: Ein stiller Ort, mitten im Wald an einem verwunschenen Gebirgsbach, ganz und gar überwachsen von Farnkraut und Schlingpflanzen, die ihre Bärte ins Wasser hängen ließen. Die Steine sangen in gurgelnden Tönen, und ihr Grün und Gelb leuchtete wie von einem inneren Licht. Fraglos - wir waren im Land der Magie angekommen - so wir es denn je verlassen hatten.
In der Nacht weckten mich die Schreie eines Tieres, die ich noch nie gehört habe (als hätte ich je schon behaupten können, viele Tierstimen vernommen zu haben!) - ein lautes Kreischen, wie es die wilden Papageien von sich geben, nur waren wir eindeutig für solche Geräusche noch zu weit nördlich. Ich saß lange wach und lauschte dieser ungewöhnlichen Akustik, ab und zu beantwortet durch den Schrei einer Eule und anderen Nachttiergeräuschen. Was es alles zu hören gibt in der Welt!
Am Morgen erfuhren wir von der über meine geringen Französischkenntnisse nahezu euphorischen Campingplatzbesitzerin, dass es hier sogar noch frei lebende Wölfe gibt. Und manchmal sogar wieder ein Bär gesichtet wird. Ein glückliches Land, sehr leer (an menschlichen Maßstäben gemessen) und wunderbar wild auf eine sehr sanfte Art. Vielleicht der schönste Ort, den uns diese Reise beschert hat. Und offenbar der Ort, den wir finden sollten, denn gleich nach unserem nicht ganz so frühen Aufbruch "fand" uns die schnurgerade Straße, die uns ins Baskenland und an den letzten Zipfel der bretonischen Küste bringen sollte.
Das Baskenland! Sagenumwobener Ort voller Partisanen, wilder, schwarzäugiger und -bärtiger Kerle mit Barrett und Machete. Land der Frauen, dunkelhäutig und voller Wild- und Entschlossenheit, der französischen und spanischen Herrschaft die Stirn zu bieten! So - oder so ähnlich - war zumindest das Bild, das ich in mir trug, genährt von virtuellen Berichten jedweder Art über diesen abgelegenen Ort auf der europäischen Landkarte.
Wahrscheinlich lag es an diesen Phantasmen, dass ich erst dachte, wir hätten uns verfahren: Plötzlich verwandelte sich die schlagloch-übersähte und notdürftig geflickte französische Landstrasse unter unseren Rädern in eine sorgsam geteerte, mit ordentlichen Markierungen versehene "Avenida", gesäumt von nagelscheren-getrimmten, grellgrünem Rasen vor Häuschen, die allesamt wie frisch aus der Schweiz importiert anmuteten. Nein, dieses sanft hügelige, saftig grüne Land voller malerischer Katen in Weiß mit säuberlich gemalerten roten Fensterläden und geschnitzten Balkonen, eines akkurater als das andere - das konnte doch nicht das berüchtigte Baskenland sein?! Wo waren die abblätternden Farben unbeschreiblicher Grün- und Blautöne geblieben, wo die Häuser zusammen gesetzt aus tausenden Bruchsteinen, gefunden am Wegesrand der Berge? Wo die Autowerkstätten mit zerbeulten, schon antik anmutenden 2-CV in allen Regenbogenfarben davor - und einem Berg Schrott im Hof, der sicherlich noch einmal zu gebrauchen war?! Wo die "Tabac", die allerorten den Straßenrand säumten, Männer in verschlissenen Hosen und Frauen mit Hutgebilden aus Stroh und Wolle, die in jeder Großstadt futuristisch gewirkt hätten?
Hier war es aufgeräumter, als in jeder schwäbischen Kleinstadt - keine Frage, das Baskenland ist kein Fetzen französisch! Freiheit für das Baskenland!

Kein Wunder also, dass uns der erste Campingplatz, den wir hier anfuhren mit seiner englischen Besitzerin konfrontierte, die uns mit säuerlichem Blick auf unser in Würde gealtertes Mobil anwies, "la poubelle", den Müll (man höre sich dieses Wort an: puh-bel -schönes Bäh!) auch ordentlich zu trennen und ja mit unseren Rädern nicht den sorgsamm getrimmten Rasen zu "touchieren". Touchieren? Wie in aller Welt sollte man ein 12m Fahrgestell durch ein in winzige Parzellen unterteiltes Gelände manövrieren ohne den Rasen zu berühren? Nach dem wir uns eine dreiviertel Stunde im stetigen Hin- und Her geübt hatten und ich an die Grenzen meiner dank 9-stündiger Fahrt arg strapazierten Nerven angelangt war, verließen wir den Platz unverrichteter Dinge. Nicht ohne allerdings Adresse und Nummer des Passports hinterlassen zu haben: Für den Fall, dass der Rasen doch noch Schaden genommen hatte.

Was uns zuerst wie ein Schlag des Schiksals erschien, entpuppte sich bald als Glücksgriff: Wir fuhren mit unseren letzten Reserven ans Meer und fanden einen wunderbaren, direkt hinter einem Deich gelegenen Campingplatz auf dem wir sogar wieder den Rasen befahren durften. Name? Reisepass? Identifikationsnummer? Ohne mit der Wimper zu zucken überreichte mir der freundliche Besitzer die Chipkarte des Platzes, freier Zugang zu allen Plätzen und Orten, Internet, machine lavoire und Klospülung inbegriffen. Wir würden schon nicht fliehen, meinte er mit - diesmal wissend lächelndem - Blick auf unsere Elsa. Und falls doch hielte sich der Schaden ja in Grenzen. Wo wir nicht mal Elektrizität in Anspruch nähmen.

Wenn einer soviel Gutes wird beschert, das ist schon eine Pause wert. Wir verbrachten zwei Tage am Meer, meine GefährtInnen sammelten ein weiteres Kilo Muscheln und Steine (gegen die weiteren 25 konnte ich mich erfolgreich zur Wehr setzen!) und ich kam wieder einmal ein bisschen mehr zur Besinnung. Und stellte fest: Reisen, vor allem die vielen ständig wechselnden Eindrücke, das schlaucht ganz schön. Unser Hirn, seit Jahrmillionen getrimmt auf Wahrnehmung und Orientierung kommt sichtlich an seine Grenzen, wenn die Rahmenbedingungen ständig wechseln. Jedenfalls bei so einem Kontrollexemplar, wie ich es bin.

Ich war müde und schlief, las, im Schatten auf meinem mitgeschleppten Divan liegend, verspeiste Honigmelone, die tatsächlich ihrem Namen Ehre machte und saß am Ozean. Langsam, dass konnte ich körperlich spüren, sickerte das gesehene und Er-Fahrene durch meine Zellen und kam an im Neokortex. Aha, hier also war ich - ich?

Im Nachhinein betrachtet hätten wir hier wohl noch weitere drei Tage und Nächte bleiben sollen - jedenfalls, wenn wir gewußt hätten, was vor uns lag. Spanien. Eigentlich ja auch nur ein Wort - oder eine Stelle - zugegebener Maßen eine relativ große, gemessen am europäischen Rest - auf der Landkarte. Aber ich ahnte schon, dass hier etwas ganz Anderes auf uns zu kam.

Ute Schiran hat einmal gesagt: Wir müssen die ganze Landschaft einschliessen. Als wir jetzt durch Spanien fuhren, verstand ich, was sie damit gemeint hatte. Und wie schwierig das sein kann. Nach der betörenden Schönheit Frankreichs erwartete uns ein Land, das jahrhundertelanger Raubbau an seiner Natur in eine agragindustrielle Ödnis verwandelt hatte. Kilometerlange Felder reihten sich in einer endlosen Fläche aneinander. Farbe? Graubeigebraun. Denn Wasser scheint es hier wohl auch nur noch gelegentlich zu geben.
Was erklären würde, warum der spanische Campingplatz, obwohl direkt neben der Autobahn-ähnlichen Straße gelegen - der teuerste der ganzen Reise war: Es gab einen Pool, wie ein Augapfel gehütet von einer Poolwärterin und mit antiseptischer Dusche als einzigem Zugang versehen, die durch einen Bewegungsmelder gesichert war: Kaum näherte man sich dem heiligen Wasser auf 500 Meter, ergoss sich ein Schwall stinkender Brühe. Okay, das hatte sicherlich kein Keim überlebt. Ob ich es überleben würde, würde der morgige Tag zeigen. Aber immerhin konnte ich jetzt dem Hitzschlag entgehen, denn obwohl der Himmel - mal wieder - von einer dichten, endlosen Wolkendecke verhangen war, war es schwül wie in den Tropen. Nur eben ohne Grün.

Wir nächtigten neben einem Briten mit futuristischem Großmobil, an dem er bis spät in die Nacht und gleich am frühen Morgen wieder herumschraubte: Räder, die eigentlich noch einen völlig intakten Eindruck machten, abgeschraubt und Ersatzräder draufgeschraubt. Aber irgendwas schien mit denen auch nicht in Ordnung, also alle wieder runter und im Mikadoverfahren rundum gewechselt. Als wir schon Wetten abschlossen, ob wohl gleich der dazugehörige Nissan-Roadster an der Reihe sei, begann der gesehene 80 Jahre alte Besitzer mit dem Abbau von Radträger und sonstigen Aufbauten. Mit irgend etwas muß man seine Zeit ja sinnvoll füllen.

Es schien, als würden uns auf dieser Reise alle Personen, denen wir begegneten sämtliche national-gefärbten Vorurteile vor Augen führen, die eine so aufbaut im Laufe eines Lebens in einer Multi-Nationen-Gemeinde: Dicke Holländer mit Hitzepickeln auf der rosig-verbrannten Haut, glutäugige Französisch-Algerier, die beim simplen Anblick einer blonden Frau in hysterisches Balzgluckern verfallen, ihren Müll in die Landschaft schmeissende Spanier und leicht irritierte Deutsche, denen die Welt eigentlich eine Nummer zu groß ist. Woher kommt das wohl, diese Gen-Geographie, die zu einem assimilierten Verhalten zwingt - und einEn im Glauben wiegt, natürlich gaaanz anders zu sein als der Rest der eigenen grenzstaatlich definierten Sippe ... Mich würde ja schon mal interessieren, was die Leute unterwegs so wohl über uns gedacht haben ...

Wir jedenfalls dachten nur eines: Nur raus aus diesem endlos, öden Spanien! Aber wie das so ist bei den Dingen, die man undbedingt und gleich und sofort hinter sich bringen will: Sie ziehen sich ins Unendliche. Auf Felder folgten Felder - und wieder Felder, nur gelegentlich unterbrochen von Trabantenstädten, die ostdeutsche Städteplaner nicht besser hingekriegt hätten: Hochhaus türmte sich über Hochhaus, und selbst inmitten der wenigen, ländlichen Idyllen fand sich bestimmt auch noch eines. In aller Regel leer. Vielleicht ist die Luft im 27. Stock nicht mehr ganz so stickig ....?

Als wir schon versucht waren, Spanien in Gänze ab zu schreiben (nun gut, aber wenigstens Castillien!) überraschte uns das Land und führte uns UNSERE Vorurteile vor Augen: Plötzlich warf sich die Erde in die Höhe, formte Gebilde aus Stein und Sand, faltete sich zu Schluchten und floß dahin in Flüssen reinsten Wassers, wie ich es noch nie gesehen habe. Wir waren im Naturpark gelandet, ein riesiges Feld voller Steinkolosse, so sanft gewellt und gerundet als wären sie Jahrmillionen von Wasser umspült gewesen.
Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr hinaus - das sich so schnell nicht mehr legen sollte. Die Sierra du Duoro reicht bis nach Portugal und weit bis ins Land hinein - und ihre ersten zarten Falten und steinernen Monumente waren nur ein Vorgeschmack auf die Berge, in die wir geografisch Ahnungslosen nun hineinfuhren. Wir wollten den Weg abkürzen, statt wie geplant entlang der kastilischen Küste mitten durchs Land, um den Zipfel der iberischen Halbküste "abzuschneiden". Wir vergaßen, dass für den Mitteleuropäer die Terra cognita in Spanien endet. Nun gut, da gibt es noch Portugal ...

Über eine winzige Brücke über ein unglaubliches Tal - natürlich verunziert durch ein Wasserkraftwerk nebst Umspannbau, dem ganze Dörfer weichen mußten - errreichten wir Portugal, das grobe Ziel unserer Reise. Und schliefen auf dem günstigsten Campingplatz unserer Reise. Doch als wäre hier alles umgekehrt proportional sank zwar der Preis, doch wuchs der organisatorische Aufwand: Wurden wir in Frankreich und selbst in Spanien noch gelegentlich sogar nach unserem Namen gefragt, benötigte der portugiesische Wärter alle Pässe nebst Fahrlizenz, Zulassungsbrief für Wagen und Wohnwagen und grüne Versicherungskarte.
Ob er bzw. die portugisiesche Verwaltung wohl fürchtete, wir würden das altertümliche Badehaus demontieren und mitnehmen? Wenig mehr war hier zu finden, und auch die Pinien sahen nicht danach aus, als wären sie mal eben zu entwurzeln, ganz zu schweigen davon, dass 20 Meter lange Gewächse auch auf einem 12m Gefährt außerordentlich schlecht zu transportieren sind. Aber vielleicht hatten sie ja Bedenken wegen der ordentlich aufgeschichtet, wunderschön glitzernden Mauern ... es soll ja Staaten geben, da steht die Gefängnisstrafe auf die Ausfuhr von Steinen ...

Was auch immer es war oder ist, wir wurden nach allen Registern der Verwaltung erfasst und katalogisiert - allerdings lediglich auf ein altersschwaches Pauspapier, das anschließend in einer noch älteren Schublade eines prähistorischen Schreibtischs verschwand. Eine wahre Fundgrube wahrscheinlich für anthropologisch interessierte Archäologen, irgendwann einmal ... heute wahrscheinlich Entgeldlegitimation für die beschäftigten studentischen Hilfskräfte, die ansonsten ihre Zeit sinnvoller mit der Lektüre von Dan Brown oder der Verfolgung des Fußballspiels Portugal-Brasilien verbrachten. Was gibt es auch schon zu tun auf einem Platz, auf dem Leute herumwohnen?

Ich kann nicht behaupten, dass ich dieser Lebensphilosophie abgeneigt bin, auch wenn sie mich amüsiert. Wahrscheinlich bedient sie eben irgend eine Anforderung des europäischen Parlaments, dieses Auswuchses bürokratischer Überblähung wie nach dem Genuß von zuviel Mehlspeis, weil der Campismo rural sicherlich aus irgendeinem Topf gefördert wurde. Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist ... und sei es bloß auf dem Papier. Man muss sich die Papiertiger eben bloß vom Leibe halten.

Eigentlich wollten wir uns ja dann den Ort noch ein bisschen anschauen ... aber inzwischen gelingt es uns nicht mehr, Berta von Elsa zu entkoppeln. Wahrscheinlich hat diese Tour sie auf immer zusammen geschweißt ... Aber wozu gibt es Taxis? Irgendwie doch eine interessante Mischung - leben im Wohnwagen und ab und an auf großem Fuß ... Mit einer Luxusausgabe unserer Berta wurden wir ins Städtchen kutschiert, kauften mit winzigen Filzapplikationen verzierte Täschchen, handgemacht von einer wunderschönen und schielenden jungen Handwerkerin und begutachten mindestens 200 Handtücher, farbenprächtig ausgestellt auf der touristischen Wandermeile. Die Portugiesen scheinen eine Wäscheobsession zu pflegen, den nirgendwo sah ich jemals eine solche Vielfalt an Tisch- und Bettwäsche, Handtücher in jeder Größe und Form nebst Decken und Deckchen, Überwürfen und Kissen wie hier. Die schier überwältigende Fülle nahm uns derart in Anspruch, dass wir die Abfahrt des letzten Taxis verpassten und die rund 2,5 km lange Wanderung rund um den Ort zu Fuß auf uns nehmen mussten - beladen mit Wasser und Früchten, Täschchen und Käse, Tomaten und neuen FlippFlopps. Kein Wunder, dass wir schliefen wie die Steine.

Über Nacht waren wir sicher verwahrt hinter Schloß und Riegel, die sich erst am Morgen wieder öffneten. Irgendwie hatten wir verpeilt, dass es in Portugal eine Stunde früher ist, also wunderten wir uns noch über den späten Antritt diemal der Wärterin, die sogar in Deutschland geboren war. Vielleicht war es dieser Umstand, der sie veranlaßte, uns eine ganz besonbdere Route zu empfehlen ...

Wir werden es wohl niemals erfahren, warum sie uns in die Berge schickte. Vielleicht auch eines dieser national geprägten Vorurteile, in denen alle Noreuropäer Bergvölker sind ... Oder sie glaubte, dass der Zugkraft eines Mercedes eh kein Hindernis gewachsen ist - was erklären würde, warum es in Portugal von diesen Autos nur so wimmelt. Obwohl ... wahrscheinlich gibt es eben kaum ein anderes Auto, dass dieser Bergwelt tatsächlich gewachsen wäre ...

Ich weiß nicht einmal, wie dieses Gebirge eigentlich heißt, was für meine geografischen Unkentnisse im besoneren, vor allem aber über die europäische Integrationskraft spricht. Wenn ich mich vor den Pyrennäen gefürchtet hatte, so lehrte mich dieses Gebirge tatsächlich die Furcht. In sengender Hitze quälte sich Berta mit Elsa im Anhang einen Berg nach dem anderen hinauf - und mit qualmenden Bremsen wieder hinab. Zum Glück gab es überall Schleichspuren und Bremsrampen - was uns zeigte, dass diese Berge nicht nur uns kanpp an die Leistungsgrenze brachten. Die Schönheit der Landschaft ging völlig unter im Streß, dass es vielleicht schon der nächste Berg sein würde, der Berta den Rest geben würde ... Jeden Moment glaubte ich, den Motor uns um die Ohren fliegen zu sehen, bei jedem Berg hoffte ich, dies möge der letzte sein - bis hinter der nächsten Serpentine die Shilouette der weiteren Gebirgszüge auftauchte und auf ihr das sich bergan und bergab schlängelnde silberne Band der in der Mittagshitze flirrenden Straße ...

Wie erschöpfend diese Fahrt war zeigt, dass wir keine Pause wagten, nur kurz einmal hielten wir um ein Sandwich einzuwerfen und aufzutanken - als würde die Eile der Hoffnung Nahrung geben ...

Aber wie es denn so ist - alles hat einmal ein Ende, sogar diese großartige, erschreckende Landschaft, in die der Mensch wohl besser nie einen Fuß gesetzt hätte. Selbst die anspruchsvollen Bauvorhaben, spinnwebartig wirkende Brücken über unglaubliche Täler wirken hier wie Spielzeug, dass ein unwirscher Ruckel der Bergrücken wieder zunichte machen kann. Zu Fuß ging es vielleicht gerade noch, so wie eine Ameise eben auch mir kaum mal ein müdes Zwinkern entlockt. Aber eine Ameisenstraße ...?!

Nun denn, wir haben es geschafft. Eben sitze ich an Portugals Küste, das Wetter ist mal wieder schlecht, es nieselt und alles ist mit Nebel avalonschen Ausmaßes verhangen. Es hat diesmal ein Weilchen gedauert, bis wir einen geeigneten Platz gefunden haben, denn der Ferientourismus holt uns langsam ein, die Plätze werden liebloser und ungepflegter, was eben so passiert, wenn der Mensch in Massen auftritt.

Hier stehen wir direkt inmitten von Dünen, hohe Pinien und Kiefern spenden Schatten und wir tragen Identifikationsmarken. Alles läßt sich eben meistens noch steigern. Aber der Galau (Milchkaffee) ist gut, Internet ist umsonst und funktioniert sogar und Alina hat endlich ein paar Kinder zum spielen gefunden. Gestern hatte sie ihren ersten Trauertag, wahrscheinlich ausgelöst durch soviel zusammen hocken mit uns unausstehlichen Erwachsenen. Das ist für Kinder einfach eine harte Dröhnung.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir uns unserem Ziel nähern. Noch knapp 600 km trennen uns von Tamera - und der Gewißheit, dass wir nicht auf Urlaubsreise sind, sondern an unserem neuen Zuhause angekommen werden. Vielleicht macht das bewußter, dass dieser Schritt fürs Erste keine Rückkehr kennt. Aber welche weiß schon, was komen wird, was hinter der nächsten Kurve, dem nächsten Hügel und jenseits der Straßengrenze liegt?!

Wir haben viel gesehen und erlebt und sind weit gekommen. 3500 km sind wir gefahren, einige Umwege und viele Kurven. Viel haben wir gesehen, wovon ich hier nur einen Bruchteil beschreiben kann. Da fehlen die drei Alten am Straßenrand, der Unterschied zwischen den Supermärkten, die über der Autobahn nistenden Störche und vieles mehr. Stoff für Geschichten und 1000 und eine Nacht ...

Jetzt halten wir noch ein bisschen inne, bevor es an die letzte Etappe geht. Und ich gehe jetzt ans Meer. Und hoffe, dass diese Reise der Gebirge - Vogesen, Massiv Central, Pyrennäen, Kordilleren, Sierra xxx, Altro du Duoro ... - keine weiteren Hürden für uns bereit hält. Aber was will eine schon ausrichten gegen die Bewegungen der Erde. Eben. Niente. Da hilft nur: Mitgehen.

In diesem Sinne: Grüße an alle, daheim und daheim, eure Astrid

Freitag, 18. Juni 2010

Pause

Reisen - das ist Losgehen um Anzukommen um Weiter zu gehen. Weiter als der Horizont, der eigene und der geografische, weiter als die eigenen Vorstellungen von weit und wie, weiter und über die Grenzen hinaus, die angenommenen und gedachten - um neue zu finden, die wieder "weiter" rufen und doch zum Innehalten zwingen: Nicht jede Grenze soll und will wirklich überschritten sein.

Um diesen sehr feinen Unterschied nicht zu "überschreiten" sondern wahr zu nehmen, dafür sind die Pausen da. Und die machen wir gerade und ausgiebig, mitten in einer der schönsten Landschaften Europas, der Ardeche, bei meiner Freundin Ana. Und als würde der Himmel still mit dem Anliegen des ausgesetzten Fortschreitens kooperieren, regnet es - immer noch und immer wieder - in Strömen. Also bleiben wir "daheim", genießen die Pause vom Umherziehen und Leben in einem Plastikkubus: Solider, viele hundert - ach, was sage ich - viele Millionen Jahre alter Stein umgibt uns, läßt noch einmal das wohlige Gefühl einer stabilden Behausung aufkommen und durchdringt uns mit den urlangsamen Schwingungen, die nur der Stein, älteste Bewohnerin dieses Planeten (Bewohnerin?)verströmen kann. Schenkt mir Festigkeit in einer Zeit, in der alles in Bewegung gesetzt ist.

Doch diese Ruhe hat auch ihren Preis: Nächtens bin ich von einem Alp nach dem anderen gedrückt, alle meine bekannten und unbekannten Ängste und Befürchtungen schwemmen an die bewußtslose-traumwache Oberfläche, wollen gesehen und ... tja, was, verstanden werden? Eingeordnet? Fortgeschwemmt?

Da verliere ich Alina im Wald und merke es nicht einmal. Als es mir dann "zu Bewußtsein kommt" ist da nur noch dieses vertraute Gefühl von: Der Moment, an dem ich das Schicksal hätte wenden können, ist vorbei. Und die Sehnsucht, ich möge die Zeit zurück drehen können, hinter und jenseits dieses "Ereignishorizonts", den ich da eben verpasst habe. Aber das ist jenseits meiner "Macht".

Da stürmen Häuser und Wohnungen auf mich ein, in denen ich gelebt habe, Personen und Geschichten, die ich lesend durchlebt habe, schlüpfe ich in die Rollen von Ritterinnen und Abenteurern, kämpfe gege sich ständig wandelnde Feinde und bin doch am Ende selber eine von ihnen. Die Grenzen sind weich und aufgeschwemmt, die das "Gute" vom "Bösen" trennen, die sichere Orientierung geben in einem Gelände, das so vertraut und doch so fremd ist.

Da schneit es im Juli von einem tiefschwarzen Himmel, während ich mit Freundinnen in die Vergangenheit fahre. Und mich verfolgt die Angst vor einer namenlosen Bedrohung, die sich langsam offenbart und unausweichlich ist ...

Nun, ich höre schon die Stimmen, inklusive meiner eigenen, besser-wisserischen, die da tonieren: Tja, wenn eine eine Reise tut, dann hat sie was zu tun. So, als sei es selbstverständlich, dass im Wegfallen des Vertrauten die geschmähten Urängste von Öffentlichkeit, Schutzlosigkeit und allerorten verorteter Bedrohung die Oberhand gewännen. So, als wäre das Leben eine Frage der Gleichgewichte von Einfluss und Auslieferung. Argumentationsketten des inneren Kettenhundes namnes Versicherrungsvertreter.

Aber klar doch: Ich habe mich entschieden für ein - vorübergehendes - nicht zurück. (Als könnte eine je zurück gehen!) Und ja, ich habe mich entschieden für eine vorübergehende Auf-Gabe (schon das Wort frohlockt in seinen Mehrdeutigkeiten!) Und ja: Ich habe Angst.

Mein seit 45-Jahren antrainiertes inneres Hausschwein hat sich gewöhnt an die Grenzen des Suhls, in dem es auf die tägliche Futterration, die Abfälle von Tisch der Menschen wartet. Ist doch eine wirklich artgerechte Haltung - oder?

Gestern regnete es dann endlich mal nicht mehr, auch die "wilden Wetter" (Marie-Luise)legten wohl mal eine Pause ein. So saß ich den halben Tag an der Beaume, auch eine dieser Flüsse hier, die noch ein echtes, über Millionen Jahre in den Fels gegrabenes Flußbett haben, umgeben von Steinwächterinnen im grünen Kleid der Mimosen, Kiefern und Eichen. Über mir segelten die Kraniche, Habichte und Mauersegler, meine Tochter saß im Wasser und legte leise singend Mosaike aus bunten Steinen, Wolfgang sprach mit den Bergen - und ich lauschte dem Flüstern der Wasser, die über Steine glitten und rauschten: Das "Weiche", welches mit dem "Harten" verbunden ist in einem endlosen Tanz entlang der Grenzen. Im Fließen das Steinerne mit sich tragen, verflüssigen, mit Licht und Luft durchsetzen udn andernorts wieder zu Gestade tragen, neue Massivitäten aufbauend, abtragend, fortschwemmend, anspülend ...

Wo ist die Grenze, wo alles so in Bewegung ist? Wo endet das eine, und wo kann das andere mit Fug und Maß behaupten, hier zu Hause zu sein? Nicht um die allerorten beschworene "Einheit" geht es mir hier, an die ich sowieso nicht glaube, weil sie ein Konzept ist, dass doch auch wieder das andere, das Uneine braucht ... nein, es ist das Spüren der Bedeutung von Bewegung, die ich dennoch noch nicht in Worte fassen kann ...

Nein, still ist es in mir noch nicht geworden. Meine Zellen platzen vor Energie, rasen, treiben an, weiter, vorwärts. Das gehört wohl dazu zum "über den Berg kommen". Anstrengend ist das, aber auch außerordentlich belebend, vor allem, da ich (noch) keine Ahnung habe, was hinter der Kuppel wohl auf uns wartet. Hier, im Land der Berge und Täler ist es dieser kleine Moment, kurz bevor du dich über die Anhöhe schiebst, da denkst du: Jetzt falle ich. Nur um zu spüren: Dahinter gehts zwar rasant den Berg hinab, aber die Gravitation hält dich am Boden.

Sie ist die Kraft der Anziehung, die aus der Bewegung geboren ist. Flüsse, Wolken, Wetter, Blut, Federflugkünste, Atem. Hinaus, hinein. Abschilfern und Anlagern. Im Reisen und Ruhen dazwischen nehme ich diese Bewegung wieder auf und werde durchgeschüttelt wie eine ins Wasser gestürzte Libelle. Nehme ein Bad. Komme zu Besinnung. Und versuche, den Grund zu erspüren.

Übermorgen geht es weiter - vorausgesetzt, wir bekommen den Wohnwagen jemals wieder frei. Aber gestern durften wir mit erleben, wie ein im weichen Asphalt der hiesigen Bergstraßen festgefahrener Schwertransporter mit Hilfe von ein paar Brettern, viel Gelächter und unermüdlichem Hin- und Her wieder flügge gemacht wurde. Die Löcher in der Straße wurden mit ein paar Kieseln vom Rand gefüllt, der ausgerissene Asphalt, weich wie Butter in der Mittagssonne, mit ein paar energischen Tritten festgetrampelt. Wozu reparieren, was beim nächsten Laster wieder auseinander fliegt? Resignation? Wohl eher Lebenstauglichkeit. Und die Erkenntnis: Gegen die Bewegungskräfte kannst du eh nicht anbauen. Es ist lediglich eine Frage der Zeit, wann der Fluss sich ins Steinbett gegraben hat.

Unser nächstes Ziel ist das Meer. Es wird uns eine Weile begleiten, bevor wir zurück in die Berge gehen, dann in die Pyrenäen. Wie gesagt: Steinhart und Wasserweich. Mit Pausen.

Sonntag, 13. Juni 2010

... und weg: Die Landpomeranze auf Reisen

Alors - es ist geschafft! Am Donnerstag, den 10. Juni 2010 um 11:30 Uhr verließen wir, schwer beladen mit Sack und Pack und allem, was wir so für unersetzlich im Leben erachten unseren Hof ... und kamen erst einmal genau 13 km weit: Ein Reifen unserer alten Dame Elsa Knaus, genannt "La Mustang" war platt und sie schaukelte wie ein Kutter bei Windstärke 25. Aber was für ein Glück, dass uns freundliche Tankwärterinnen gleich darauf aufmerksam machten (nicht ohne ein verstohlenes Grinsen ob unserer altersstarken Gefährte) und die Reifenreparatur erst 5 km hinter uns lag. Also Retour!

So kam ich in den genuß, das allererste Mal (von inzwischen einigen!) unser 12 m Doppelgefährt rückwärts (!!) in eine Ausfahrt zu steuern. Ich kann euch sagen: Schönste menopausale Hitzewellen sind nichts gegen die Anwallungen, die mir diese Herausforderung beschert hat! Aber: Ich habe es geschafft, nach dem ich erst mal verstehen musste: Bei einem solchen Gefährt geht alles anders herum! Wollte ich nicht raus aus dem Trott?!

Die Monteure waren die ersten Menschen, die uns auf dieser reise begegneten, und sie waren derart freundlich und hilfsbereit, dass wir es als gutes Omen für diese Reise aufnahmen. Für 13,25 Euro repariereten sie unseren nun nicht mehr platten Reifen nebst Aufbockkurbel, die gleich schon beim Start aus der Fassung gesprungen war (ich sag ja, alles Omen!)und schickten uns mit guten Wünschen um 13 Uhr zurück auf die Piste.

Der ertse Tag brachte uns bis knapp über die französische Grenze: 250 km bei Spitzengeschwindigkeit 80 km/h. Jede Steigung verrringerte unsere Reisegeschwindigkeit auf 40 km/h, so dass wir in den Genuß außerordentlicher Hupkonzerte und Aufwind-schwingende LKW-Überholmanöver kamen. Und wie gesagt, da ich die erste Etappe fuhr, verlor ich sicherlich so an die 14 l Wasser - allerdings aufgepeppt mit 200ml Adrenalin pro Kubikmilliliter. Weil Elsa jedesmal bedrohlich schwankte, wenn wieder einmal so ein König der Straße an uns vorbeirauschte, entschieden wir uns kurzerhand für die Bundes- bzw. Landstraße. Da sind 80 km/h zwar auch noch nicht die Welt, aber es fährt sich doch wesentlich entspannter. Und Berta Benz, die ja schließlich alles ziehen muß, dankte es uns mit gemütlich zuckelndem Tempo.

Dabei konnte ich feststellen, dass es wesentlich mesnchengemäßer ist, so langsam zu reisen. Nicht nur, dass einEr die Landschaft und ihre Veränderungen um einEn herum vierl besser wahrnehmen kann, es fällt auch leichter, innerlich den äußeren Veränderungen hinter her zu kommen. Eine wesentliche Erkenntnis für mich, die ich es ja gewohnt bin, die Dinge im Überschalltempo zu tun - und vor allem hinter mich zu bringen.

Vor Nyon fanden wir einen hübschen Campingplatz - und verbrachten unsere erste Nacht im Wohnwagen. Dank Unwetter und Dauerregen ein echtes akustisches Erlebnis: Wie tausende kleine Nagetierfüße prasselte der Dauerregen auf uns herab - ich bin mir nicht sicher, ob es schließlich die akustische Ermüdung oder die Strapazen des ersten reisetages waren, die mich in einen unruhigen und traumreichen Schlaf sinken ließen ...

Doch am nächsten Morgen strahlte die Welt in reinstem Licht, die Sonne schien und ich trank meinen ersten, selbstfabrizierten Latte Macciato vom Wohnwagenherd, der Göttin-sei-Dank nicht explodierte (auch die Gasflasche stammt sicherlich aus den späten 70ern!). Und zum ersten Mal überkam mich tatsächlich so ein winzig-kleines Freiheitsgefühl, ein "Endlich-geschafft" und auch ein: eigentlich könnte ich immer so weiter fahren und mir die Welt anschauen. Es ist schon eigenartig, wenn du dein ganzes Leben in einem Caravan hinter dir her ziehts - und es eigentlich gerade keinen Ort gibt, an den du zurück könntest. Doch was mir in den letzten Tagen zu Hause fast schon ein bisschen bedrohlich erschien - in dem Moment, wo der ultimativ erste Schritt getan ist, verändert sich dieses "Zu-Hause-Gefühl" sofort. Es geht mit auf Reisen - und stellt sich da ein, wo einEr gerade ist.

Der zweite Tag war zum Glück ein wenig unspektakulärer - keine Rückwärtsfahrten, dafür ein schattiger Rastplatz am See mit mittäglichem Bad, einer kleinen Cafeteria im Ort und einem witzigen Kellner, der Wolfgang die begehrte Esspressotasse aus der Tür hinterherwarf. Hintergrund: Wolfgang wollte unbedingt diese Espressotasse erwerben, doch auf meine Nachfrage gab der Kellner zu verstehen, er habe nicht mehr genug, weil er sie immer "fallen ließe". Also ließ er die Tasse mal kurz "aus der Tür fallen" - und Wolfgang bekam sie geschenkt. Eine wirklich originelle Lösung für ein kompliziertes Problem!

Kaum hatte ich das Lenkrad wieder übernommen (Wolfgang war den Tag übe rgefahren und hatte damit seine Tauffahrt hinter sich gebracht ...) und knapp, nach dem wir entschieden hatten, jetzt sei es genug gefahren, wurden die französischen Sträßchen wieder enger und vor allem - steiler! Ein Eegweiser zu einem Campingplatz führte uns über einen Waldweg hinein ins Gebirge - und dreimal dürft ihr raten, was augenblicklich mit meiner Transpiration geschah. Vor allem: Weit und breit kein Platz, um ein 12m-Gefährt (alles in allem) zu wenden. Also - auch hier setzte wieder die tiefgründige Erkenntnis raumgreifend ein - wenn es keinen Weg zurück gibt, mußt du weiter gehn. Gesagt, getan. Und es wurde steiler und steiler. Doch als ich schon dachte: So, das wars, jetzt hängen wir fest, legte sich Berta noch einmal ins Zeug und zog sich, uns und Elsa auf die Bergkuppe - und hinein oder besser hinauf auf einen wunderschönen Platz mit mongolischen Jurten (leider schon alle vermietet), Wald und einer Luft, so sauber wie ... na, eben sauber sein kann.

Wir schliefen in dieser Nacht - wieder begleitet von Dauerregen - wie die Steine. Ich träumte Steinträume und hatte überhaupt das Gefühl, das der massive Fels unter mir mich irgendwie wieder zuu mir und auf den Boden brachte. Hier hätte ich noch Tage bleiben können.

Aber der Vorwärtsdrang ist noch nicht von uns abgefallen, dass wird wohl noch ein bisschen dauern. Das Getriebe, das mich durch die letzten Monate gebracht hat braucht noch Zeit, um auszulaufen, also fuhren wir zurück auf die Straße, die jetzt endlich einmal schnurgerade und vor allem eben vor uns lag. Berta lief zur Höchstform auf und brachte 100 km/h zu stande, was uns wohl ans Meer getragen hätte, wären die Franzosen nicht so verliebt in Kreisel. Kreisel rein, Kreisel raus, 200 m fahren, wieder kreiseln. Und das mit einem 6m Wendekreis und einer Beschleunigung von 0 auf 20 km/h in 30 min. ... Nun ja, es geht ja um Verlangsamung ...

Und diesmal durfte ich verstehen - oder besser gesagt - er-fahren - was es bedeutet, ein Ziel zu haben. Hatten wir die voran gegangenen Tage immer in gutem Kontakt mit unserer körperlichen Verfassung und den Informationen der inneren stimme entschieden, wann es genug war - so entflammte plötzlich der Ehrgeiz. Ach, "nur" noch 77 km, das schaffen wir - und vergaßen, dass wir schon 250 km gefahren waren, Berta glühte und ich eigentlich reif für einen Latte und mein Tagebuch war. Aber der Mesnch ist eben vergeßlich, also fuhren wir weiter - mittern hinein in die nächste kosmische Lehrstunde die da hieß: Wozu nur ein Straßenschild machen, wenn man drei haben kann. Dass allerdings eben jenes dritte wieder hianuf auf die Berge und hinein in eine unbeschilderte Pampa führen würde - who cares! Führen doch alle Wege einmal nach Rom.

Doch nein, dieses nicht, sondern mitten hinein in ein samstag-nachmittäglich alles andere als verschlafenes kleinfranzösisches Dorfnest mit einem Verkehr, der tatsächlich an Rom erinnerte. Nur blöd, dass mich plöztzlich, mitten im Dorf die Erkenntnis überfraute, dass wir uns heillos verfahren hatten. Und jener fatale Mechanismus einstetzte, den alle langjährigen AutofahrerInnen kennen: Ehe ich mcihs versah, hatte ich links eingebogen, um zu wenden. Auf einer Straße, die knapp 20 m breit war. Luxeriös unter normalen Umstaänden - fatal mit 12 m Gesamtlänge. Ergo: Wir saßen fest. Was natürlich in genervten Schreiereien und gegenseitigen Schuldzuweisungen mündete. Doch scheints, war diese Reise ersonnen, um mich das Rückwärtsfahren andersherum zu lernen. Wolfgang hielt den Verkehr an, der hielt tatsächlich still - und ich wendete in filigraner Kleinstarbeit und binnen 30 min. tatsächlich unseren Wagen samt Anhang. Für irgend etwas muß das jahrelange Einfädeln von Fäden in engmaschige Nadeln doch gut gewesen sein.

Aber das Abenteuer war noch nicht zu ende. Zwar erreichten wir unser Ziel an der Ardeche - doch galt es noch zu erkunden, dass Campingplatz nicht gleich Campingplatz ist: Währrend die einen mit 500m Wendeschleifen udn halben Autobahnen durchs Gelände aufwarten, sind die anderen Übungsparcours für Feinfädler. Ja, ihr habt richtig gelesen. Und welchEn traf es wohl wieder ? Bingo!

Aber diesmal scheiterte auch ich. Und zwar an unserem Wohnwagennachbarn, der partout der Ansicht war, der schon zweimal umgesetzte Wohnwagen müsse noch einmal gewendet werden, damit die Tür auf der richtigen (!) Seite sei. In rasendem Französisch, geprägt vom Couleur tief empfundener Autorität wies er mich an, noch einmal das sehr übersichtliche Gelände zu umrunden um von der anderen Seite kommend die richtige (!) Seite zu wählen. Tja, da war sie wieder, die frühkindliche Prägung, erworben in jahrelangem Frontalunterricht: Wenn einer nur mit ausreichend Vehemenz auf dem "richtig" beharrt, dann folgen alle wie die Schafe. In diesem Falle auch ich - nur, um sofort und unmittelbar zwischen zwei Bäumen fest zu hängen. Da ging nichts mehr - und ich weiß nicht, ob mir hier meine Näharbeiten wirklich hilfreich gewesen wären. Aber zum Glück gibt es patente Franzosen, die zwar für gewöhnlich alle durcheinander schreien - "Vorwärts!"; "Nein, rückwärts!"; "Wie, rückwärts? Bist du denn blind, du eingeborener Wurm eines faulenden Apfels, wenn sie rückwärts fährt, dann ..."; "HAAAAAlt!"; "Oje, jetzt hängt sie fest, siehst du, wäre sie doch rück..." und so weiter, und so fort - also, sich eben übernieten an akustischem, in den Wahnsinn treibenden Anweisungen, aber eben im schlimmsten Falle einen Nachbarn mit Traktor haben, der dann kurzerhand Elsa auf den Berg zog, auf dem sie jetzt steht. Ob ich sie allerdings da jemals wieder runter kriege ... nunja, da gibt es betsimmt wieder einen Nachbarn.

Ich jedenfalls sitze inzwischen bei meiner Freundin Ana am Pool, genieße Strom und vor allem den Kühlschrank (geschmolzener Joghurt ist wirklich nur was für FeinschmeckerInnen!) und das unvergleichliche Gefühl, losgegangen, schon viel erlebt und vor allem schon viel gelernt zu haben. Jetzt gilt es erst einmal, wieder ein bisschen runter zu kommen. Langsamer zu werden, gedanklich und vor allem gefühlt. Damit ich da bin, wo ich bin.

Und die hilfreichen Geister uns weiter führen und geleiten können. Alles eine Frage der Nicht-Einmischung. Aber die will eben auch gelernt sein. Venceremos!

Mittwoch, 12. Mai 2010

Kurz vor Schluß

So ist es mit den Veränderungen im Leben: Hat einEr sie erst mal losgetreten oder bloß zugelassen, dass diese Kraft um sich greift, schon bleibt kein Stein mehr auf dem anderen.
Was als vorbildlich geplantes und gut strukturiertes "Kistenpacken" begann, das hat sich haste-nicht-gesehen in einen Mahlstrom verwandelt, in dem nicht nur Kisten und Kästen, Sofas, Necessaires und Kochtöpfe sondern auch Menschen, Gedanken, Vorhaben und Absichten verschwinden und zu neuen Ufern untergehn.

Welche hätte vor Wochen gedacht, dass ich noch Wochen inmitten eines halb-aufgelösten Lebens leben würde, jenseits aller ästhetischen Wunschvorstellungen ein trautes Heim betreffend? Nahezu alles, was mir einst lieb und teuer war, ist entweder in Kisten verstaut oder hat neue Heimatstrände gefunden. Zwar stehen noch Blumen auf meinem kombinierten Ess-Arbeits-Abstell-Aufräum-Tisch, aber die Hälfte davon ist schon seit Tagen verwelkt und ich habe nicht den "Drive", sie fort zu werfen. Wo ich früher Inseln der Schönheit geschaffen hätte, um meinem empfindlichen Seelenleben Orte des Auftankens zu verschaffen, da halte ich es heute mit Tanja Blixen: Wieso mit Sandsäcken um den Stausee kämpfen, wenn dieser Fluß in Mombasa wohnt? Oder anders ausgesprochen: Einer freiwerdenden Wildkraft kannst du dich nicht entgegen stellen.

Da diskutiere ich an anderer Stelle mit meiner Freundin Marie-Luise über das "Wilde" (http://hollesgartenblog.twoday.net/)und bin doch schon mitten drin, im Auswilderungsprozess. Was habe ich Lebtags für Energien dafür aufgewendet, mir Dinge anzueigenen, zu verschönern, zu erhalten und aufzubauen! Nicht, dass ich damit jetzt sagen möchte, dies alles sei nutz- und wertlos gewesen. Es ist auch ein Teil des "irdischen Los", dass wir nicht für die Ewigkeit bauen, auch wenn wir es immer wieder versuchen. Aber so wie ein bisschen Wind und Asche aus einem Vulkan ausreichen, unsere Träume von der grenzenlosen Mobilität in ihre Schranken zu weisen, so reicht der Wechsel von 400 auf 8 qm um mir zu zeigen: Leben heisst w i r k l i c h, in Bewegung zu bleiben.

Dabei ist die Bewegung gar nicht immer so unmittelbar wahrzunehmen. Der Armbruch eines Kindes und ein unfertiges Buch haben meine Pläne, wann und wie der Aufbruch, das In-Bewegung-kommen denn vonstatten zu gehen haben kurzerhand ausgehebelt. Erst einmal hatte ich mich wohl noch mit menschlichem und allzu amtlichem auseinander zu setzen. Oder bessser: zusammen zu setzen. Und siehe da - im Innersten spürte ich plötzlich auch meinen unheiligsten Wunsch, es möge sich doch alles als Spuk heraustellen und so bleiben, wie es ist. Nix von wegen "Aufbruch". Im stillen Kämmerlen hegte ich unbeachtet neben allen Aktivitäten den Wunsch, dieser Krug möge doch, den äußeren Umständen verschuldet, an mir vorüberziehen.

Was folgte, war eine Zeit des vermeintlichen "Auf-der-Stelle-tretens" und Kreiselns um mich selbst. Doch was mir eingangs wie die wankelmütige Umlaufbahn einer irren Tretmühlenfahrt erschien, entpuppt sich so langsam als wohl oder übel not-wendige Retouren. Labyrinthisch und spiralig ab- und aufwärts, nur horizontal bewegungslos, in Wahrheit aber Spurrillen-vertiefend und Schwung holend. Abschied nehmen der ganz anderen Art.

In der Zwischenzeit bin ich älter geworden. Um mich herum die Menschen meiner Generation und in ihren Augen meine eigene gespiegelte Furcht: Nicht nur die Haut unter den Augen kriegt Falten, nicht nur der Bauch hängt durch. Auch die Seele scheint manchmal wie ausgeleiert vom Allzuvielen, was da erst hinein und dann wieder hinausbefördert sein muss. Ein Klammerreflex setzt ein, ein leise panisches Festhalten am scheinbar Errungenen, ein bisschen sicheres Floss in dem zunehmend schneller fließenden Strom des Lebens. Schon können wir ihn hören, den Fall am Ende, sein Rauschen summt im Ohr und setzt die Gewissheit in Bewegung: Entgegenstellen können wir uns ihm kaum.

Und da komme ich, springe vom Rettungsboot mitten in den Fluss und weiß nicht einmal genau, ob ich das Schwimmen noch beherrsche. Ja, damals, als wir JUNG waren - da glaubten wir zumindest, dass wir schwimmen könnten. Aber wie oft schon sind wir untergegangen ...

Es steht immer ein Berg von Beweisen auf der Seite der Unmöglichkeit. Meine eigenen Befürchtungen sind seine Nahrung, und mein Zögern verschafft ihm Beharrlichkeit. Aber gibt es richtige Entscheidungen und folglich auch falsche? Steht nicht hinter jeder Tür eine Erfahrung, die ihrerseits wieder mit neuen Entscheidungen aufwarten wird?

Nun gut, ich bin ja gesprungen. Auch wenn ich mich gerne noch in der Nähe des Floßes aufhalte. Wie gesagt, es gibt da den Hoffnungsschimmer, dass die Erfahrng zeigen möge, das Floß sei der beste aller Orte. Denn wenn das Leben schon tödlich endet, dann lieber stillhalten, vielleicht werde ich ja übersehn ...
Aber ich schwimme doch schon! Die Strömung hat mich doch längst schon erfasst. Die Dinge und mit ihnen der Halt sind aufgegeben, jetzt kann ich mich nur noch treiben lassen. Mäandernd. Trudelnd. Und immer dem Ende entgegen.

Dienstag, 13. April 2010

Leben auf Pump oder woher nehmen, wenn nicht stehlen

Am vergangenen Sonntag Abend gab es einen merkwürdigen Tatort zu sehen: Der bundesdeutsche Befindlichkeitskrimi beschäftigte sich mit dem Zusammenbruch unseres Kreditsystems. Oder genauer formuliert: Was passiert eigentlich mit den Menschen, wenn das Leben auf Pump zurück-pumpt?!

Was eine interessante Frage hätte werden können geht im Tatort sprichwörtlich unter: Da hecken drei, denen ein perfides Profitsystem die Kredite für das hübsche Reihenhäuschen samt Inventar und fahrbarem Untersatz unterm Arsch weg verkauft einen eigentlich wasserdichten Coup aus - und enden als Witzfiguren, die nicht einsehen wollen, dass sie als jämmerliche Bittsteller zu fressen und zu schweigen haben. Und bundesdeutsch tapfer ihr Schicksal anzunehmen und ihr Los abzuarbeiten haben. Das macht man so, wenn man anständig ist. Und der Einzige, der offenen Auges erkennt, was da tatsächlich von Statten geht ist ein unverbesserlicherer "Westentaschen-Revoluzzer" der im Wohnwagen lebt und seinen "funkenden" Tumor im Kopf mit Pornos und Karl-Marx füttert.

Eigentlich bin ich ja ein Fan des "Tatort". Aber seit Sonntag überlege ich doch stark, ob die regelmässig vor dem Fernseher abgesessenen 1 3/4 Stunden nicht völlig aus dem Fenster geworfene Investitionen sind. Wie das schon seit Längerem aufgegebene Zeitungslesen etwa ...

Tatsächlich hätte ich nicht gedacht, dass sich die Macher dieser Serie derart hemmungslos auf die Seite derjenigen stellen würden, die uns allen derzeit zu verstehen geben wollen: Jetzt muss der Gürtel enger geschnallt werden, ihr habt jahrzehntelang über eure Verhältnisse gelebt, nun müssen die Konsequenzen mit Härte umgesetzt werden. Das tut uns leid, ist aber leider unumgänglich. Und weil Spähne fallen, wo gehobelt wird - wird das Ganze wohl nicht ohne Opfer abgehen. Nun ja, neoliberales Gesetz Nr. 7: Shit happens!

Was sicherlich eine völlig richtige Analyse ist. Wenn man den Bezugsrahmen entscheidend erweitert. Was aber nichts anderes ist als das alte "Wir prassen, ihr bezahlt die Rechnung", wenn man so denkt wie die Tatortisten.

Denn wieso wundert sich eigentlich niemand darüber, dass es anscheinend völlig in Ordnung ist, wenn unsichere Kredite zusammen brechen, Menschen ihren Job und ihre Häuser verlieren und hoch verschuldet bis an ihr Lebensende Geld in ein System abpumpen dürfen, das ihnen doch all die wunderbaren Segnungen des modernen Lifestyle erst nahe gebracht hat?!
Und andererseits Millarden locker gemacht werden (woher denn eigentlich?) um ein marodes Bankensystem zu stabilisieren, welches dann sofort diesen aus den Steuern der nächsten 20 Generationen bezahlten - natürlich zinsfreien - Kredit als Millionen-Provision an seine unzurechnungsfähigen Führungskräfte weiterleitet, die uns die Misere ja erst eingebrockt haben?

Wieso gilt die schöne patriarchale Grund-Regel "Stehe ein für dein Handeln und trage die Konsequenzen wie ein Mann" eigentlich immer nur für diejenigen, die eh schon als Esel vor den Karren gespannt sind? Und wird ad hoc zu "Nach mir die Sinnflut" wenn es um diejenigen geht, die auf dem Kutschbock sitzen? Liegt es vielleicht an der Mitgliedschaft in einer christlichen Partei - oder in einer Kirche, die zwar Andersdenkende haste-nicht-gesehen exkommuniziert aber pädophile Pfarrer unter den Schutzmantel des Schweigens nimmt? Muß einer entweder fundamentalistischer Christianist oder Hedge-Fonds-Manager werden um dem Zusammenbruch zu entgehen weil er teilhaftig werden darf an einem staatlich subventionierten prämortalen Paradies?

Vielleicht ist es doch nicht so schlecht, den Tatort zu schauen, denn was eine wirklich lernen kann dabei ist, dass die Regeln immer nur für die einen gelten - und nie für alle. Glauben oder - in diesem Falle - Geld und Position waren schon immer nützlich wenn es darum ging, sich zugriffsfreie Handlungsspielräume zu gestalten.

Vor einigen Wochen habe ich die von Jutta Ditfurth geschriebene Biografie Ulrike Meinhofs gelesen - die interessanter Weise auch im Tatort vorkommt, und zwar als "Herr Baader-Meinhof" (!). Ja, der deutsche Sumpf, den man so "Zeitgeist" nennt ist wahrlich über dieses "Terror-Trauma" noch nicht hinweg gekommen, wenn über 30 Jahre nach ihrem Tod noch nicht einmal das Geschlecht dieser Frau eindeutig zu bestimmen ist. Dabei wäre aus ihrer Geschichte einiges zu verstehen über dieses, unseres Land. Wie zum Beispiel mit denjenigen verfahren wird die es wagen, den Finger auf die Wunde zu legen: Recht gilt nur für diejenigen, die im Recht sind.

Ulrike Meinhof war eine, die mit diesem "Umstand", dass wir in einem System leben, in dem viele für die überbordende Triebbefriedigung von wenigen mit ihrem Leben bezahlen, nicht einverstanden war. Wie der wahnsinnige Hausbesitzer mit dem "Ei" im Kopf im Tatort hat sie verstanden, dass auch ein lebenslanges Schuften um einen nie endenen Kredit zu tilgen - der ja nur deshalb so hoch ist, weil wir Geld dafür bezahlen, Geld zu bekommen - Sklaverei ist. Denn wir sind nicht frei, uns "dagegen" zu entscheiden. Die Strafe dafür ist der Ausschluss. Eben so, wie er es ist, wenn wir uns nicht brav an die Rückzahlungsvereinbarungen halten. Weil wir unseren Job verlieren. Weil die Bank dem Unternehmen, das unseren Job bezahlt, die Kredite kündigt ...

Wir die drei Familienväter, die im Tatort eine Bank überfallen, um sich das Geld zu beschaffen um die Bank zu bezahlen ... - hat auch Ulrike Meinhof versucht, den strukturellen Zugzwang dieses Systems umzukehren, um ihm zu entkommen. Und um Exempel zu statuieren, die es vielen möglich machen sollten zu erkennen, welchem Mammon sie da in Wirklichkeit dienen.

Aber wie diese drei zugegebener Maßen nicht besonders originellen Schuldner hat Ulrike Meinhof die Rechnung ohne den inneren Wirt gemacht: Wir selbst sind es, die diesem System durch unsere lebenslang genährten Ängste und Erwartungen den Wachstumsboden bereiten.
Nur aus diesem Grund war und ist es möglich, Menschen, die vor mehr als dreißig Jahren vier Banken ausgeraubt und einen Menschen getötet haben (und das zu einer Zeit, als bereits eine unvorstellbare Hetze und Verfolgung über sie hereingebrochen war) bis zum heutigen Tag zum Schreckgespenst zu machen, das eine ganze Nation in Schach hält: Als "Terroristen", die nichts anderes im Sinn haben als unsere gut bürgerliche Stabilität zu gefährden. Und das natürlich mittels Bombengewalt. Weil wir den Feind brauchen um einen Grund zu haben, nicht vor die Türe zu gehen und uns das marode Haus zu begucken, in dem wir alle wie Platonschen Hunde vor dem Fernseher hocken und glauben, die 3D-Animation sei die Wirklichkeit. Und die Ruine ein Palast für den sich die ganze Plackerei lohnt.

Die "Bombe" im Tatort war eine Attrape. Die ein hysterisches Polizeiaufgebot auf den Plan gerufen hat. Die Bomben unter unserem Hintern, die Zurücklassenschaften der Amerikaner und die Müllhalden von 40 Jahren Atomstrom sind das genaue Gegenteil davon: Sie fliegen uns zwar nur stückchenweise und nahezu unmerklich, dafür aber noch in 1000000 Jahren um die Ohren. Wir sterben langsamer, dafür aber sicher. Nur ruft das (leider) keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor. Geschweige denn eine Sondereinheit. Im Gegenteil: Wenn einEr doch so blöd ist, danach zu fragen oder gar eine Haltung einzufordern muss sie oder er schon gewaltig aufpassen, nicht gleich als "StaatsfeindIn" unter Beobachtung gestellt zu werden. Und da isses dann gleich aus mit Kreditwürdigkeit und so.

Franz Xaver Kroetz, der den "durchgeknallten" und von allen (bis auf die Kinder !) verachteten Wohnwagenbesitzer spielt, drückt es im Tatort einmal so aus: Wir sind alle deppert. So isses. Solange wir brav an die Regeln glauben und nach ihnen spielen, die Augen zumachen, wenn die Erfinder derselben schummeln oder nach Bedarf neue aufstellen - solange haben wir es wahrscheinlich nicht anders verdient.

Wir sind alle Monopolyisten. Hopefully gehen wir über Los und ziehen DM 2000 ein - auch wenn die Währung schon lange nicht mehr zählt. Doch noch unbemerkt fliegen immer mehr von uns raus - weil wir uns weder Häuser, geschweige denn ganze Straßenzüge oder Bahnhöfe leisten können, für deren Benutzung wir dann fulminante Mieten verlangen um weitere Straßen, Häuser und Bahnhöfe zu kaufen. Die wiederrum nur von denjenigen benutzt werden dürfen, die das nötige Kleingeld haben. Und wenn wir ganz schlau sind, lassen wir uns die Bahnhöfe samt Zügen und Löhnen für MitarbeiterInnen von denjenigen subventionieren, die am Schalter dann noch einmal für die Beförderung bezahlen dürfen. Weil sie zu doof sind um zu bemerken, dass der Zug eigentlich der ihrige ist, würde man die Regel "Mir gehört, was ich bezahlt habe" tatsächlich einmal anwenden.

Und warum schreibe ich jetzt darüber, außer das ich mich aufrege? Was hat das mit Umzug, Auszug und Veränderung zu tun? Eine ganze Menge, meine ich.

Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Andreas Baader und all die anderen, die glaubten, durch ihre selbstverachtende Konsequenz dieses System unübersehbar deutlich für alle Betroffenen zu enttarnen (denn das war ihr Ziel !) könnten uns gelehrt haben, dass wir nicht erkennen können, was wir nicht sehen wollen. Wir wollen mitspielen beim Monopoly und treten gerne diejenigen mit Füßen, die rausgefallen sind oder genauer hingucken. Ein Konkurrent weniger um den Schatz am Ende des Regenbogens.

Wir wollen dazu gehören. Wir wollen gerne alles richtig machen. Wir lieben Regeln, weil sie die Welt so schön ordentlich gestalten. Und wir sehnen uns nach Strafe, wenn es einEr wagt, die Regeln in Frage zu stellen.

Und weil das so ist, wollen wir welche, die die Einhaltung der Regeln überwachen. Eine Kanzlerin. Einen Vollstreckungsbeamten in der Bank. Eine Finanzamtsmitarbeiterin. Einen Richter. Eine Gefängniswärterin. Und einen, der entscheidet, ob jemand wirklich tief genug unten angekommen ist, um bedürftig zu sein. Denn 324 Euro im Monat dürfen nicht leichtfertig ausgegeben sein. Wo kämen wir denn da hin.

Unsere Kinder sollen lernen, dass man nicht alles haben kann, was man haben will. Während wir überlegen, ob wir uns den nächsten Konsumentenkredit leisten können. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Ich habe lange auch so gelebt. Ich war hoch verschuldet, weil ich ein Wohnzimmer, ein schnelles Auto und überhaupt Geld haben wollte. Ich wollte mitmachen - und schließlich, machen es nicht alle so?
Irgendwann habe ich begonnen, mich zu wundern. Warum ich rund um die Uhr arbeitete und mein ganzes Geld wie Wasser aus der Tür floss. Weil ich all die vielen Dinge und Menschen brauchte um das Geld zu verdienen, das all die vielen Dinge und Menschen verschlangen ...

Gerettet hat mich mein Kind. Da ging das dann plötzlich nicht mehr, 16 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche (als Selbständige) zu arbeiten. Und da war ich dann auch ganz schnell draußen. Mütter mit Kleinkindern sind eh fürs konkurrenzintensive Mitspielen nicht geeignet, fand mein damaliger Hauptauftraggeber und kündigte meine existenzsichernden Verträge. Frau wird zu anfällig.

Irgendwie ist es mir gelungen, das Hamsterrad anzuhalten. Die Bremsspuren haben noch ein paar Jahre angehalten, schließlich hatte ich ja noch einiges "abzubezahlen". Heute bin ich nahezu schuldenfrei und den Rest schenke ich der Bank. Schließlich verdienen die ja nur daran, dass ich ihnen etwas schulde. Nur gibt es bei mir nichts mehr zu holen. Und vor ein paar Monaten bin ich sogar aus dem Finanzamt ausgetreten.

Was sich jetzt so "einfach" daherschreibt ist das Ergebnis eines langen Ringens mit meinen inneren Fesseln, die mich an dieses System gebunden haben. Dazugehörigkeit. Anerkennung. Wertschätzung. Ein guter und richtiger Mensch sein. Unabhängigkeit. Sicherheit. Und nicht zuletzt das Gefühl, mir stünde eine bestimmte Form von "gutem Leben" zu. Erwartungen und Vorstellungen. Das Programm, das wir alle eingeschrieben bekommen, wenn wir hierzulande 13 Jahre zur Schule, 10 Jahre zu Uni und 40 Jahre arbeiten gehen. Das wir jeden Tag in der Zeitung nachlesen können. Und mit jedem Tatort noch einmal spannungsreich aufgearbeitet bekommen. WelchEr möchte denn schon gerne als AußenseiterIn "in der Gosse" - oder im Wohnwagen - landen? Bei Pornos und Karl Marx?

Ich kann mir heute schlechter Gesellschaft vorstellen. Zum Beispiel die meiner "Hausbank". Oder - im akuten Fall - des Kiefernorthopäden meiner Tochter. Noch so eine Vorstellung - und wieder eine Geldgrube, in die ich´s hineinschaufeln könnte. Damit mein Kind aussieht wie alle. Mit geraden Zähnen. Nunja, im Monopoly ist das einzige Unterschiedsmerkmal ja auch bloß die Farbe. Der Männchen. Nicht wahr?!

Samstag, 20. März 2010

In die Kiste: Bilder von mir.

Mitten im Umzug, im Auszug setzt sie aus, die gewohnte Zeit: Mal schleicht sie sich auf Katzensohlen durchs Hintertürchen, und ehe du dich versehen hast, ist sie davon. Mal springt sie wie ein Raubtier mitten auf den Küchentisch und zerreisst Muse und Stille zwischen ihren hungrigen Fängen ... Während um mich herum das Haus leer und die Kisten voll werden, spürt sich mein Inneres an wie ein Tier in einem zu kleinen Käfig, wie ein Weiblein, an dem an allen Ecken und Enden gerissen und gezogen wird, wie ein Vogel in einem Wirbelsturm ...

Ich komme an meine Grenzen, wenn ich jeden Tag darüber entscheiden muss, welche Dinge ich zum Leben brauche und welche nicht. Ich verliere die Geduld, wenn ich die Blätter des Winters mühsam aus allen Ecken und Ritzen des Gartens zusammen gekehrt habe und dann ein Frühlinswind in spielerischem Toben mitten hinein fährt und alles wieder verteilt. Ich werde zornig, wenn mein Plan A, B und C immer noch nicht funktioniert und ich alles noch einmal von vorne denken und machen muss.

Ausziehen, das ist auch eine re-produktive Tätigkeit. Alles noch einmal tun. All die Dinge, die ich mal angeschafft habe, für die ich einen Platz gefunden habe müssen nun ent-sorgt, ver-staut und re-produziert werden: Indem ich sie in die Hand nehme entstehen in meinem Kopf die Bilder, die mit ihnen verbunden sind. Wann ich sie wo oder durch wen erworben habe, welche Geschichten ich mit ihnen erlebt habe. Das alles ist mühseelig und erfordert ziemlich viel Kraft. Mehr, als ich erwartet hatte.

Überhaupt, die Erwartungen und das Unerwartete. Plötzlich schneien sie herein, all die Freundinnen und Freunde, auf einen Kaffee, eine Idee, einen Austausch. Weggehen, das löst auch den Wunsch aus hier zu bleiben, festzuhalten und sich zu vergewissern was war und eine verbindet. Mich macht das froh und traurig zugleich: Sehe ich doch die vielen entstandenen, "poduzierten", meint geschaffenen Schätze menschlicher Verbundenheit, die auch gewachsen sind in diesen 10 Jahren an diesem Ort. Die ich jetzt verlasse. Und mich frage, wie oft ich das Offensichtliche nicht sehe, nicht wahrnehmen kann und will. Ist mir das Alltägliche so zur Gewohnheit geworden? Gehe ich fort, weil ich mir aus der Fremde die Sensationen erhoffe, die der Alltag nun einmal nicht zu geben hat?

Es liegt etwas Tröstliches auch darin, dass die Dinge sind, was sie sind. Sich manchmal nur so minutiös verändern, dass es einer schon wie Stillstand erscheinen kann. Was wäre es für eine Anstrengung, sich jeden Tag des Gewohnten erneut zu versichern?! Und dennoch: Sogar die Natur kennt Wirbelstürme und Erdbeben, um alles einmal ordentlich durcheinander zu wirbeln.

Aber ich erkenne auch, dass ich eine von langsamer Gangart bin, auch wenn ich zu rasenden Geschwindigkeiten neige und mich dabei oft selbst überhole. Innerhalb weniger Stunden packe ich ein halbes Haus ein - und sitze dann da und brauche Tage und Wochen um die aufgewirbelten Lebensströme zu begreifen. Mein inneres Tierchen, das sich nach Geordnetheiten und Übersichtlichkeit sehnt weil sonst die Angst zu übermächtig werden droht, gerät in Panik und läuft mit dem Kopf voran gegen die Wand. Und der Rest von mir ist beschäftigt mit Besänftigungen. Alles wird gut.

Beim Einpacken erfährt eine ihre Grenzen. Ja, ich glaube, dass ich ohne Netz und doppelten Boden leben kann. Im Ungestalteten, Prekären, im stetigen Übergang. Doch was sagen die anderen in mir dazu?

Da gibt es die Freibeuterin, die am liebsten alles stehen und liegen lassen würde, lieber heute als Morgen auf der Staße wäre und nach den Abenteuern dürstet, die das Leben doch versprechen und erst lebenswert machen sollten.

Da gibt es die Vorsichtige bis Überbesorgte, die Perfektionistin, die alles richtig und vor allem bestätigt gut machen möchte. DIN-genormte Kisten in Reih und Glied, farblich gekennzeichnet und mit Inhaltslisten beklebt zwecks besserer Übersichtlichkeit horizontal gestapelt. Eine, die sich vor dem drohenden Abgrund fürchtet und ihn mit Korrektheit bezwingen möchte. Die Katholikin in mir, die immer noch glaubt, dass die, die sich an die Regeln halten (wessen Regeln?) doch eines fernen paradiesischen Tages belohnt werden (müssen).

Und die Gleichgültige, die Nutznießerin, die Stetige, die voll Genervte, die ... Ungezählten. So engmaschig das Ich erscheinen mag ist es mehr doch ein Netz, in dem sich vieles zu verfangen vermag. Und jede von ihnen baut an ihren eigenen Mauern und Vorhersagen.

Einpacken kann ich sie nicht, ich bin sie und werde sie mit mir nehmen wie das Wetter. Außerhalb meines Zugriffs gelegen bedeutet Leben doch auch nur, mit all diesen Facetten ins Reine zu kommen und zu wissen: Wenn es hierlang gehen soll (und welche sagt denn das überhaupt?), dann müssen alle in die gleiche Richtung laufen wollen. Nur, dass sie eben nicht auf Befehle reagieren. Aber ebensowenig auf leise schmeichelndes Flüstern, die subtile Variante der Manipulation.

Und ich stelle fest: Vieles geht mit vielem, wenn eine schon gar nicht mehr glaubt, dass noch irgendetwas geht. Die Lösungen liegen manchmal genau außerhalb dessen, was eine für möglich erachtet. Keiner da, der dir Geld für das dringend benötigte Auto leihen kann? Da erzählt eine Freundin im Nebenbei, auf einer ganz anderen Bühne von Ebay, und plötzlich kauft eine deine Sessel, von denen du eh nicht wusstest, wohin mit ihnen. Das Unerwartete ist nicht immer nur gräßlich, sondern ziemlich oft sogar lindernd. Und vor allem wohl notwendige Kurskorrektur, wenn eie zu sehr in eine festgelegte Richtung starrt und läuft. Nein, aus dieser Gasse wird er nicht kommen. Aber dreh dich um, vielleicht steht er schon lange hinter dir. Und wartet nur darauf in Erscheinung zu treten.

In der vergangenen Woche habe ich an meine Freundinnen und Freunde ein Gedicht geschickt, "Die Einladung" von Oriah Mountain Dreamer. Darin fragt sie - unter anderem - danach, ob eine durch die Ungerechtigkeiten und Unwägbarkeiten des Lebens geöffnet wurde, sich diesen Waltkräften ergeben konnte oder sich klein macht und das Herz verschließt.

Eine solche Frage ist nicht leicht zu beantworten, und es gibt wohl auch keine Eindeutigkeit darin. Als lebendige, mäandernde Wesen kennen wir beides, und müssen beides kennen, den Verschluß und die Hingabe, auch an das Schmerzliche. Das Leben und wir Lebe-Wesen sind eben nicht entweder-oder sondern stets sowohl-als-auch. Und so gibt es Tage, da sitze ich da und halte meine noch-immer-nicht-eingepackten-Dinge im Arm, halte mich auf in Gesprächen und Gesprächen mit Menschen, die mir noch nie so wichtig waren wie jetzt, ziehe mich zurück in mein innerstes Schneckenhaus und weigere mich, vor die Tür zu treten oder sie irgendwem zu öffnen.

Bis dann der Tag kommt, oder das Zeitalter oder was auch immer, da reiße ich sie mit Macht wieder auf, die Fenster, lasse den Frühlingswind hineinstürmen und alles mit sich nehmen, schneuzte meine verheulte Nase und fließe dahin.

Auch meine Freundin Marie-Luise schreibt vom Verlust der "wahren Wahrheiten", der Eindeutigkeiten und dem langsamen Herantasten an das, was vielleicht ist und möglicherweise sein will. Leider gehöre ich schon immer zu denjenigen, denen alles nicht schnell genug geht. Also lehrt das Leben mich durch Hindernisse, die Geschwindigkeit zu drosseln. Präziser zu werden und verunsichert zu werden darin, wo ich meine, es schon zu haben und zu wissen. Deshalb wohl geht hier alles manchmal so schnell, um sich dann in Zähflüssiges zu verwandeln: Um mir Gelegenheit zu sein.

Es ist sicher nicht gewiss, ob es mir gelingt, diese Aspekte von mir in eine Kiste zu legen, diese zu verschliessen und zur Seite zu stellen. Manche Identifikationen sind einer ja sehr liebgewonnen. Aber zumindest den Versuch kann ich ja unternehmen: Mich selbst aus den notwenig erdachten Eindeutigkeiten zu erlösen. Oder sie zumindestens von Zeit zu Zeit abzulegen wie ein Kleid. Es ist ja immer noch da, dort, in der Kiste. Wenn es denn mal nötig sein sollte, kann ich es ja jederzeit wieder auspacken.

Mittwoch, 10. März 2010

Und ab damit in die Kiste: Heute - die guten Vorsätze!

Jeden Tag eine Kiste, das ist die Devise ... Heute habe ich den ganzen Tag mit meiner Freundin Isabel verschwatzt. Wir haben in ihrer wunderschönen Küche gesessen und den Tag über die Betrachtung von Horoskopen verstreichen lassen. Und hinter uns werkelten die Handwerker an Isabells neuem Seminarraum, trugen Platten und Balken und Stapel umher, rührten Teige und Panaden und Farben und sprachend abei in den gluturalen Tönen des Ostens.

Inmitten von Um- und Aufbruch zu sitzen, völlig gelassen angesichts wachsenden Chaos und Bauschutts literweise Kaffee und Croissants zu vertilgen und dabei die energetischen Webmuster unserer Leben zu studieren, das hat schon etwas ganz Eigenes. Und während die Eine ihr Domizil ausbaut um darin endlich ganz zu Hause zu sein packt die andere ihr ganzes Leben in ein paar Kartons um Heimat im unterwegs sein zu finden.

Viele meiner Freundinnen sind inzwischen Hausbesitzerinnen, wobei machmal nicht ganz klar ist, wer und welche hier wen "besitzt". Ich bin da eher wie die Jungfrau zum Kinde zu "meinem" Haus gekommen, und das, weil ich eben nie etwas eignen wollte, das "immobil" ist. Zu lange und zu ausgiebig habe ich als Kind meine Zeit auf den diversen Baustellen meiner Eltern verbracht, die jede eh schon gering bemessene Stunde Freizeit schluckten. Und zu drückend sind meine Erinnerungen an die prekären Wohnsituationen inmitten von Baumaterial, Abbruch und abgebauten Möbeln ...

Dennoch kann ich ihn gut verstehen, diesen Wunsch nach einem Ort, von dem dich (hoffentlich) niemand vertreiben kann, an dem du das Maß aller Dinge bist, in den du dich zurückziehen kannst, wenn draussen in der Welt mal wieder der Wind hart umeinander bläst. Aber ich bin nie in den Genuss derart viel Geldes gekommen, dass eine Anschaffung erreichbar erschienen wäre. Und wenn, wäre es wohl eher das Haus am windumtosten Strand oder die Waldhütte geworden.

Jetzt aber wird mein erstes "Haus" ein Wohnwagen sein, auch so eine Erinnerung aus Kindheitstagen. denn während mein Vater zu "Erholungszwecken" auf den Azoren oder in der Karibik weilte, musste meine Mutter und wir drei Kinder mit dem sauerländichen Campingplatz Vorlieb nehmen. Nicht, dass ich unbedingt geren getauscht hätte. Die Karibik war mir damals ungefähr so abstrakt wie heute die Apfelmännchen. Und die Spiele am rheinischen Strand (unserem späteren Dauerstandort), die festen Freunde, die auch jedes Jahr pünktlich zum Saisonstart wieder auftauchten, die Lagerfeuer und das provisorische Leben ermöglichten uns Kindern einen Freiraum, den heutige kleine Menschen in Robinsonclubs und ähnlichem trotz oder wegen des hohen Comforts wohl vergeblich suchen. Einfachheit hat eben auch seine Vorteile.

Aber ich erinnere mich auch an stinkende Chemieklos, die Enge im winterlichen Wohnwagen, den Stumpf- und Dumpfsinn der abgehalfterten Nachbarn, die das schon damals scherenweite Unverhältnis der Einkommen an den Campingplatzstrand gespült hatte. An die Grabenkämpfe über die mit Petunien abgesteckten Stellplatzgrenzen, den Geruch angebrannter Schnitzel und die "Jeder-sieht-Alles"-Mentalität. mit der wir notgedrungen leben mussten auf 20 qm Rasenfläche mit Stromanschluß. Einfachheit hat eben auch ihre Nachteile.

Nach Jahren des plastikummantelten Lebens in und auf fahrbaren Heimen schwor ich mir damals, nie wieder in dieses spießbürgerliche Idyll von einem "freien" Leben zurück zu kehren. Wie eine sieht halten manche Vorsätze weniger lang als ein Leben so dauern kann.

Also ab damit in die Kiste! Nach 45 Wintern und ebensovielen Neujahrsnächten weiß eine sowieso, dass gute Vorsätze meistens die erste Woche nicht überleben. Und außerdem macht sich ja bekanntlich schuldig, welchEr in, mit und unter Vorsatz handelt. Trotz bester Absichten ist eben oft nicht abzusehen, wohin sich ein Leben so entwickelt. Und wenn wir immer nur unseren Vorhaben treu blieben, wie sollte uns dann die glückliche Fügung, der Zufall und das lebendige Leben erreichen?

Dienstag, 9. März 2010

Was ich in die Kiste packe ...

... oder als unersetzlich einstufe und was von daher den überschaubaren Platz in meinem neuen Heim, dem Wohnwagen mit mir teilen wird und darf, damit werde ich mich in den kommenden Wochen hier beschäftigen. Wozu ausgesprochen auch die Frage zählt, welchen Ballast es ansonsten und überhaupt abzuwerfen gilt beim Aufbruch in ein "bewegtes" Leben, welches zu führen ich mich entschlossen habe. Nun, manche Frauen beschert der Wechsel Hitzewallungen und schlaflose Nächte, mir wird er erstmal mein Leben erleichtern. Indem ich aufgefordert bin, mich von allem zu trennen was eine Frau nicht stolz, sondern lediglich alt und schwer macht.

Dank der Auseinandersetzungen der letzten Tage um den Namen dieses Blogs bin ich denn auch auf einen dicken Batzen gestossen, den ich unter anderen Umständen sicherlich übersehen hätte. Wie das so ist mit den fetten Platzhaltern im Leben, an die eine sich schon ausgiebig gewöhnt hat.

Meiner Lebtag war ich eine, immer auf der Suche nach dem Stückchen unbesetzten Raum, in dem so eine wie ich, die in (fast) keine Schublade so richtig passt eben richtig ist. Dass das so war muss wohl am eklatanten Mangel geeigneter Spiegelflächen gelegen haben. Denn bekanntlich weiss eine erstmal nur deshalb, welche sie ist weil sie sich in anderen wiederfindet. Oder eben nicht. Musik hören wir, weil wir die Resonanzen wahrnehmen. Meine Musik war erstmal stumm. Und weil die Gegenübers in der Nähe ungefähr so zahlreich waren wie die drei goldenen Nasenhaare von des Teufels Großmutter bin ich losgezogen in die Welt als eine, die ihr Glück und Gleichgesinnte suchte.

Nun ist es so, dass eine als große (190 cm) und körperbehinderte Frau mit einem nicht eben durchschnittlichen Intelligenzquotienten (ohje, dass sagt frau doch nicht öffentlich!) und einer eher ungewöhnlich zu nennenden Biografie so schnell keine findet, die ihr nicht unmittelbar und a priori (was VOR jeder Erfahrung bedeutet!) unterstellen, dominant, herrschsüchtig und besitzergreifend zu sein. Angenommene Überlegenheit, und sei sie lediglich von der physische Größe her abgeleitet, scheint noch immer angetan, dass sich der Eine oder die Andere automatisch klein ud unterlegen fühlen.

Es ist ein Automatismus, der hier einsetzt und seine Gründe wahrscheinlich in irgendwelchen vorevolutionären Erfahrungen hat: Obacht, Vorsicht, da kommt ein großes Tier! Und weil groß gleich gefährlich steigt der Adrenalinspiegel in die Höh und ermuntert zu Flucht oder Angriff. Dabei sind, mal rein biologisch gesehen, die größten Viecher die gutmütigsten. Oder hat einEr schon je einen Blauwal gesehen, der sich auf einen kleinen Menschen stürzt? Nein, die Geschichte gibt es, dank Mobby Dick, nur anders herum.

Alle meine Bemühungen, so freundlich, entgegen kommend, friedvoll und kooperativ zu sein wie möglich, so wenig Platz wie nur eben geht mit 190 cm und 90 kg in Anspruch zu nehmen und auch immer wieder die Klappe zu halten, damit keiner vor Schreck ins Angriffsbeissen verfällt haben schlußendlich rein gar nichts genützt. Zeit also, den Versuch, harmloser zu erscheinen als ich bin in die Kiste zu packen! Diesem energetischen Aufwand bin ich zukünftig eher nicht mehr gewachsen.

In die selbe Kiste gehören dann auch die Autoritäten. Denen ich mich zuwandte auf der Suche nach Menschen, die wie ich nicht darum herum kommen aus dem Ganzen irgendwie heraus zu stechen, ob sie es nun wollen oder nicht. Vielen bin ich auf diesem Weg begegnet, und viele haben mich mit ihrem Mut zu So-und-nicht-anders-sein gestärkt. Egal, ob das gerade populär war oder als unterste Kategorie menschlicher Existenz galt. Viele hatten wie ich dieses Herausgehoben-sein gar nicht freiwillig gewählt. Nur die, die nicht in unseren Schuhen stehen halten das außer-gewöhnliche Sein für ein Geschenk. Für alle anderen ist es wie mit den Schamanen, die sich den Bauch halten vor Lachen, weil einE UnerfahrenEr um Einweihung bittet: WelchEr wählt schon freiwillig einen solchen Weg?!

Ich könnte nie eine Bank ausrauben und auch ein heimliches Rendevouz wäre nur von kurzer Dauer. Auf jeder Straße finden sich mindesten 10 Leute, die mich anstarren, als sei ich das siebzehnte Weltwunder und die sicherlich später eine präzise Personenbeschreibung liefern könnten. Lediglich was das Geschlecht angeht würden sie möglicherweise fehl gehen. Denn obwohl mit aussagekräftigen sekundären Geschlechtsmerkmalen gesegnet, bin ich schon in meinen Roaring-Twenties häufiger für einen Mann in Frauenkleidern gehalten worden als für ein waschechtes weibliches Gattungsexemplar. Wahrscheinlich lags an der fehlenden femininen Zurückhaltung. Oder der Absage an die Unsichtbarkeit, mit der jeder Krüppel in der gesundheitsstrotzenden Bundesrepublik belegt ist. Nein, ich glaube, bei näherer Inaugenscheinnahme würde niemand auf Dauer gerne mit mir tauschen. Und das, obwohl ich ein ausgesprochen glückliches Leben führe.

Denn entgegen der allgemeinen Überzeugung ist blosses "Anderssein" nicht automatisch mit "schlechter dran sein" verbunden. Ganz im Gegenteil eröffnet einem bei genauerem Hinsehen diese Grenzexistenz auch ganz neue Räume. Denn an der Grenze ist nichts mehr selbstverständlich. Keine Zugehörigkeiten, aber auch keine Regeln.

Nun behaupten ja die einen oder anderen, wir bräuchten Regeln, um uns zu orientieren. Oder zumindestens an ihnen zu wachsen. Der letzteren Annahme wäre ich vielleicht nicht ganz abgeneigt. Nur haben Regeln einen entscheidenden Nachteil: Sie setzen Verallgemeinerbarkeit voraus. Und die ist bei Grenzfällen eben definitiongemäß eher nicht gegeben. So nützen Regeln in aller Regel nur denjenigen, denen sie entsprechen und nicht denen, die sich an sie halten. Hübsches Beispiel sind die Steuern. Oder die Finanzmärkte. Oder die Wirtschaft, ganz im Groben und besonders im Allgemeinen.

Als junger Mensch im regelfreien Raum und als junge Frau zu einer Zeit, als das Frausein gerade aus allen Regeln der Kunst ausbrach suchte ich nach Menschen, Frauen, die mir vielleicht hätten Beispiel sein können, wie eine im Undefinierten lebt. Ich glaubte sie gefunden zu haben und machte sie zu meinen Autoritäten.

Weil sie das Stück Weg, das ihres war so unnachahmlich gegangen waren versuchte ich, es ihrem Beispiel gleich zu tun. Was ich dabei übersah (man sehe es meiner Unerfahrenheit nach) war, dass eine einen Weg nicht zweimal auf die gleiche Art gehen kann. Hinterrücks hatte ich sie doch mit mir geschleppt wie eine schleichende Infektion, die Hoffnung auf Verallgemeinerbarkeit.

Und was ich noch tat: ich legte diese Autoritäten, Frauen zumeist, auf ihre Nonkonformität, ihre Uniquarität fest. So einzigartig und außergewöhnlich hatten sie bitte immer zu zu sein. In jeder Lebenslage und zu allen Zeiten.

So wurde, was als Hilfegesuch begonnen und aus dem Mangel an Alternativen geboren worden war zu meinem ganz persönlichen Reglementarium. Zum Maß, an dem ich nur scheitern konnte, denn mein Leben war eben nicht so wie das meiner selbstgezimmerten Autoritäten.

Die Enttäuschung, die ich heute oft spüre angesichts meiner Autoritäten, die dann eben doch nicht so frei, so vorurteilslos, so offen und so herausgehoben sind wie ich sie mir gerne gedacht hätte ist der Spiegel meiner Erwartungen, in den ich heute zu schauen habe. Und in ihm abgebildet ist ein Anspruch, der seiner Grundlage entbehrt. Macht wird Wahn, wenn sie nicht mit Menschlichkeit verbunden ist und dem Wissen um unsere Veranlagung, die Dinge zu kurz und zu wenig zu überschauen. Und Stolz wird zu Fanatismus wenn er nicht mit Güte und Gr0ßzügigkeit daher geritten kommt. Dann können wir die Denkmäler nur stürzen.

So packe ich sie also in die Kiste, all diejenigen Autoritäten, die schon zu lange zuviel Platz in meinem Denken eingenommen haben. Ich packe sie hinzu zu meiner falschen Zurückhaltung und der ungeeigneten Mimikrie. Ein Blatt ist ein Blatt ist ein Blatt. Und ich bin immer noch ich, selbst, wenn ich es schon selbst nicht mehr glaube!

Montag, 8. März 2010

Warum "Frauenstolz" nicht mehr "Frauenstolz" heissen darf

Nun, eigentlich wünscht frau (und sicherlich auch mann) sich ja eine schnelle und aussagekräftige Reaktion auf all das, was einEr so bloggt. Dass es allerdings so schnell gehen würde, hätte ich nun doch nicht gedacht ...

Stein des Anstosses ist der Name. Frauenstolz. Der sich - offen und ehrlich - an den Namen einer Gruppe in facebook anlehnt: Emanzenstolz. Ziel dieser Gruppe ist es, Frauen in ihrem Stolz auf´s Frau- und Emanzesein zu bestärken. Ein gutes Anliegen, finde ich. Die Gruppe ist übrigens zugänglich für Frauen und Männer.

Nun fühlt sich eine der Initiatorinnen in ihrem Urheberinnengeist angegriffen. "Frauenstolz" als Plagiat, nicht als Bezug auf einen Begriff, der eigentlich zur trademarkfreien Zone gehörte. Wohl bis heute.

Mich erinnert das an eine Diskussion, die wir in einem anderen Blog an einer anderen Stelle hatten zum Thema der UrheberInnenrechte im Internet. In dieser letzten ungeschützten Zone, in der zwar gelegentlich auch Onlinebankingdaten geklaut, dafür aber bis jetzt zumindest noch gedacht und geschrieben werden kann, was einEr so durch den Kopf geht ... Dass das nicht so bleibt, daran wird ja derzeit kräftig gearbeitet: Versteckt hinter dem Argument des Schutzes von Kindern, Privatsphäre und Copyright wird sich das World-Wide-Web wohl in Kürze in genau das verwandeln, was wir andernorts als der Freiheit so überaus undienlich anprangern: Eine Spielwiese für jedwede Art bürokratischen Reglements.

Ja, es ist besch....en, wenn ich meine Gedanken, bisweilen sogar ganze Textpassagen bei anderen wiederfinde, wo sie als eigene Ergüsse ausgegeben werden. Aber andererseits will ich ja auch, dass meine Gedanken in die Welt kommen. Und dabei erscheint es mir nicht so unbedingt bedeutsam, dass auch noch der letzte User weiss, dass diese von mir stammen. Wenn das denn überhaupt der Fall ist ... Denn was heute als der geniale Wurf einer oder eines Einzelnen dargestellt wird, ist gestern auf dem Mist von ungezählten anderen gewachsen.

Da, wo sich inzwischen immer mehr der Gedanke durchsetzt, dass es soetwas wie Eigentum an Grund und Boden nicht gibt (Kann einEr Land besitzen?)und auch die Besitzansprüche in Beziehungen lediglich Scheidungsanwälte reich machen ... da herrscht nach wie vor eitle Einigkeit über die Patentrechte an gedanklichen Gütern. Die aber eigentlich ja zu den windigen, sich leicht verströmenden gehören.

Und natürlich kommt an dieser Stelle immer das Argument, dass einEr ja davon leben muss, von ihren und seinen Erfindungen und Eingebungen. Stimmt auch. Und dennoch: Schreiben die meisten von uns ja - sofern sie sich nicht nur lediglich am eigenen Einfallsreichtum berauschen - für andere. Für deren Gedanken, Phantasien und Leben, die wir zu bereichern und zu beflügeln suchen. Müsste ich da nicht theoretisch an jeden Gedanken, jedes Wort ein Schutzhäkchen setzen so wie in England an die Autos Knöllchenzahlungs-säumiger VerkehrsteilnehmerInnen?!

Es gibt einen Grund, warum man in dieser unseren Republik zumindest bis heute Begriffe der Umgangssprache nicht zugriffsrechtlich schützen kann. Sonst dürften wir das Wort "Kinder" schon seit der Erfindung der weiss-braunen Schokolade nicht mehr verwenden. Und die Brigitte hätte sich "Frauenstolz" bestimmt schon in den 50ern patentieren lassen.

Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll, dass sich jetzt auch Frauen schon untereinander darauf hin abklopfen, ob da nicht eventuell die eine von der anderen abgeschrieben hat. Sollte da noch ein Zweifel bestehen, gestehe ich doch lieber gleich: Ja, habe ich. Und zwar in vollster Absicht und Überzeugung. "Frauenstolz" ist mir ein liebgewordener Begriff, der allerdings unter den hiesigen Umständen einiges an Attraktivität verliert. Deshalb mache ich mich jetzt mal auf die Suche nach einem neuen Namen, der vielleicht ebenso verfänglich, dafür aber ungeschützter ist!