Samstag, 20. März 2010

In die Kiste: Bilder von mir.

Mitten im Umzug, im Auszug setzt sie aus, die gewohnte Zeit: Mal schleicht sie sich auf Katzensohlen durchs Hintertürchen, und ehe du dich versehen hast, ist sie davon. Mal springt sie wie ein Raubtier mitten auf den Küchentisch und zerreisst Muse und Stille zwischen ihren hungrigen Fängen ... Während um mich herum das Haus leer und die Kisten voll werden, spürt sich mein Inneres an wie ein Tier in einem zu kleinen Käfig, wie ein Weiblein, an dem an allen Ecken und Enden gerissen und gezogen wird, wie ein Vogel in einem Wirbelsturm ...

Ich komme an meine Grenzen, wenn ich jeden Tag darüber entscheiden muss, welche Dinge ich zum Leben brauche und welche nicht. Ich verliere die Geduld, wenn ich die Blätter des Winters mühsam aus allen Ecken und Ritzen des Gartens zusammen gekehrt habe und dann ein Frühlinswind in spielerischem Toben mitten hinein fährt und alles wieder verteilt. Ich werde zornig, wenn mein Plan A, B und C immer noch nicht funktioniert und ich alles noch einmal von vorne denken und machen muss.

Ausziehen, das ist auch eine re-produktive Tätigkeit. Alles noch einmal tun. All die Dinge, die ich mal angeschafft habe, für die ich einen Platz gefunden habe müssen nun ent-sorgt, ver-staut und re-produziert werden: Indem ich sie in die Hand nehme entstehen in meinem Kopf die Bilder, die mit ihnen verbunden sind. Wann ich sie wo oder durch wen erworben habe, welche Geschichten ich mit ihnen erlebt habe. Das alles ist mühseelig und erfordert ziemlich viel Kraft. Mehr, als ich erwartet hatte.

Überhaupt, die Erwartungen und das Unerwartete. Plötzlich schneien sie herein, all die Freundinnen und Freunde, auf einen Kaffee, eine Idee, einen Austausch. Weggehen, das löst auch den Wunsch aus hier zu bleiben, festzuhalten und sich zu vergewissern was war und eine verbindet. Mich macht das froh und traurig zugleich: Sehe ich doch die vielen entstandenen, "poduzierten", meint geschaffenen Schätze menschlicher Verbundenheit, die auch gewachsen sind in diesen 10 Jahren an diesem Ort. Die ich jetzt verlasse. Und mich frage, wie oft ich das Offensichtliche nicht sehe, nicht wahrnehmen kann und will. Ist mir das Alltägliche so zur Gewohnheit geworden? Gehe ich fort, weil ich mir aus der Fremde die Sensationen erhoffe, die der Alltag nun einmal nicht zu geben hat?

Es liegt etwas Tröstliches auch darin, dass die Dinge sind, was sie sind. Sich manchmal nur so minutiös verändern, dass es einer schon wie Stillstand erscheinen kann. Was wäre es für eine Anstrengung, sich jeden Tag des Gewohnten erneut zu versichern?! Und dennoch: Sogar die Natur kennt Wirbelstürme und Erdbeben, um alles einmal ordentlich durcheinander zu wirbeln.

Aber ich erkenne auch, dass ich eine von langsamer Gangart bin, auch wenn ich zu rasenden Geschwindigkeiten neige und mich dabei oft selbst überhole. Innerhalb weniger Stunden packe ich ein halbes Haus ein - und sitze dann da und brauche Tage und Wochen um die aufgewirbelten Lebensströme zu begreifen. Mein inneres Tierchen, das sich nach Geordnetheiten und Übersichtlichkeit sehnt weil sonst die Angst zu übermächtig werden droht, gerät in Panik und läuft mit dem Kopf voran gegen die Wand. Und der Rest von mir ist beschäftigt mit Besänftigungen. Alles wird gut.

Beim Einpacken erfährt eine ihre Grenzen. Ja, ich glaube, dass ich ohne Netz und doppelten Boden leben kann. Im Ungestalteten, Prekären, im stetigen Übergang. Doch was sagen die anderen in mir dazu?

Da gibt es die Freibeuterin, die am liebsten alles stehen und liegen lassen würde, lieber heute als Morgen auf der Staße wäre und nach den Abenteuern dürstet, die das Leben doch versprechen und erst lebenswert machen sollten.

Da gibt es die Vorsichtige bis Überbesorgte, die Perfektionistin, die alles richtig und vor allem bestätigt gut machen möchte. DIN-genormte Kisten in Reih und Glied, farblich gekennzeichnet und mit Inhaltslisten beklebt zwecks besserer Übersichtlichkeit horizontal gestapelt. Eine, die sich vor dem drohenden Abgrund fürchtet und ihn mit Korrektheit bezwingen möchte. Die Katholikin in mir, die immer noch glaubt, dass die, die sich an die Regeln halten (wessen Regeln?) doch eines fernen paradiesischen Tages belohnt werden (müssen).

Und die Gleichgültige, die Nutznießerin, die Stetige, die voll Genervte, die ... Ungezählten. So engmaschig das Ich erscheinen mag ist es mehr doch ein Netz, in dem sich vieles zu verfangen vermag. Und jede von ihnen baut an ihren eigenen Mauern und Vorhersagen.

Einpacken kann ich sie nicht, ich bin sie und werde sie mit mir nehmen wie das Wetter. Außerhalb meines Zugriffs gelegen bedeutet Leben doch auch nur, mit all diesen Facetten ins Reine zu kommen und zu wissen: Wenn es hierlang gehen soll (und welche sagt denn das überhaupt?), dann müssen alle in die gleiche Richtung laufen wollen. Nur, dass sie eben nicht auf Befehle reagieren. Aber ebensowenig auf leise schmeichelndes Flüstern, die subtile Variante der Manipulation.

Und ich stelle fest: Vieles geht mit vielem, wenn eine schon gar nicht mehr glaubt, dass noch irgendetwas geht. Die Lösungen liegen manchmal genau außerhalb dessen, was eine für möglich erachtet. Keiner da, der dir Geld für das dringend benötigte Auto leihen kann? Da erzählt eine Freundin im Nebenbei, auf einer ganz anderen Bühne von Ebay, und plötzlich kauft eine deine Sessel, von denen du eh nicht wusstest, wohin mit ihnen. Das Unerwartete ist nicht immer nur gräßlich, sondern ziemlich oft sogar lindernd. Und vor allem wohl notwendige Kurskorrektur, wenn eie zu sehr in eine festgelegte Richtung starrt und läuft. Nein, aus dieser Gasse wird er nicht kommen. Aber dreh dich um, vielleicht steht er schon lange hinter dir. Und wartet nur darauf in Erscheinung zu treten.

In der vergangenen Woche habe ich an meine Freundinnen und Freunde ein Gedicht geschickt, "Die Einladung" von Oriah Mountain Dreamer. Darin fragt sie - unter anderem - danach, ob eine durch die Ungerechtigkeiten und Unwägbarkeiten des Lebens geöffnet wurde, sich diesen Waltkräften ergeben konnte oder sich klein macht und das Herz verschließt.

Eine solche Frage ist nicht leicht zu beantworten, und es gibt wohl auch keine Eindeutigkeit darin. Als lebendige, mäandernde Wesen kennen wir beides, und müssen beides kennen, den Verschluß und die Hingabe, auch an das Schmerzliche. Das Leben und wir Lebe-Wesen sind eben nicht entweder-oder sondern stets sowohl-als-auch. Und so gibt es Tage, da sitze ich da und halte meine noch-immer-nicht-eingepackten-Dinge im Arm, halte mich auf in Gesprächen und Gesprächen mit Menschen, die mir noch nie so wichtig waren wie jetzt, ziehe mich zurück in mein innerstes Schneckenhaus und weigere mich, vor die Tür zu treten oder sie irgendwem zu öffnen.

Bis dann der Tag kommt, oder das Zeitalter oder was auch immer, da reiße ich sie mit Macht wieder auf, die Fenster, lasse den Frühlingswind hineinstürmen und alles mit sich nehmen, schneuzte meine verheulte Nase und fließe dahin.

Auch meine Freundin Marie-Luise schreibt vom Verlust der "wahren Wahrheiten", der Eindeutigkeiten und dem langsamen Herantasten an das, was vielleicht ist und möglicherweise sein will. Leider gehöre ich schon immer zu denjenigen, denen alles nicht schnell genug geht. Also lehrt das Leben mich durch Hindernisse, die Geschwindigkeit zu drosseln. Präziser zu werden und verunsichert zu werden darin, wo ich meine, es schon zu haben und zu wissen. Deshalb wohl geht hier alles manchmal so schnell, um sich dann in Zähflüssiges zu verwandeln: Um mir Gelegenheit zu sein.

Es ist sicher nicht gewiss, ob es mir gelingt, diese Aspekte von mir in eine Kiste zu legen, diese zu verschliessen und zur Seite zu stellen. Manche Identifikationen sind einer ja sehr liebgewonnen. Aber zumindest den Versuch kann ich ja unternehmen: Mich selbst aus den notwenig erdachten Eindeutigkeiten zu erlösen. Oder sie zumindestens von Zeit zu Zeit abzulegen wie ein Kleid. Es ist ja immer noch da, dort, in der Kiste. Wenn es denn mal nötig sein sollte, kann ich es ja jederzeit wieder auspacken.

Mittwoch, 10. März 2010

Und ab damit in die Kiste: Heute - die guten Vorsätze!

Jeden Tag eine Kiste, das ist die Devise ... Heute habe ich den ganzen Tag mit meiner Freundin Isabel verschwatzt. Wir haben in ihrer wunderschönen Küche gesessen und den Tag über die Betrachtung von Horoskopen verstreichen lassen. Und hinter uns werkelten die Handwerker an Isabells neuem Seminarraum, trugen Platten und Balken und Stapel umher, rührten Teige und Panaden und Farben und sprachend abei in den gluturalen Tönen des Ostens.

Inmitten von Um- und Aufbruch zu sitzen, völlig gelassen angesichts wachsenden Chaos und Bauschutts literweise Kaffee und Croissants zu vertilgen und dabei die energetischen Webmuster unserer Leben zu studieren, das hat schon etwas ganz Eigenes. Und während die Eine ihr Domizil ausbaut um darin endlich ganz zu Hause zu sein packt die andere ihr ganzes Leben in ein paar Kartons um Heimat im unterwegs sein zu finden.

Viele meiner Freundinnen sind inzwischen Hausbesitzerinnen, wobei machmal nicht ganz klar ist, wer und welche hier wen "besitzt". Ich bin da eher wie die Jungfrau zum Kinde zu "meinem" Haus gekommen, und das, weil ich eben nie etwas eignen wollte, das "immobil" ist. Zu lange und zu ausgiebig habe ich als Kind meine Zeit auf den diversen Baustellen meiner Eltern verbracht, die jede eh schon gering bemessene Stunde Freizeit schluckten. Und zu drückend sind meine Erinnerungen an die prekären Wohnsituationen inmitten von Baumaterial, Abbruch und abgebauten Möbeln ...

Dennoch kann ich ihn gut verstehen, diesen Wunsch nach einem Ort, von dem dich (hoffentlich) niemand vertreiben kann, an dem du das Maß aller Dinge bist, in den du dich zurückziehen kannst, wenn draussen in der Welt mal wieder der Wind hart umeinander bläst. Aber ich bin nie in den Genuss derart viel Geldes gekommen, dass eine Anschaffung erreichbar erschienen wäre. Und wenn, wäre es wohl eher das Haus am windumtosten Strand oder die Waldhütte geworden.

Jetzt aber wird mein erstes "Haus" ein Wohnwagen sein, auch so eine Erinnerung aus Kindheitstagen. denn während mein Vater zu "Erholungszwecken" auf den Azoren oder in der Karibik weilte, musste meine Mutter und wir drei Kinder mit dem sauerländichen Campingplatz Vorlieb nehmen. Nicht, dass ich unbedingt geren getauscht hätte. Die Karibik war mir damals ungefähr so abstrakt wie heute die Apfelmännchen. Und die Spiele am rheinischen Strand (unserem späteren Dauerstandort), die festen Freunde, die auch jedes Jahr pünktlich zum Saisonstart wieder auftauchten, die Lagerfeuer und das provisorische Leben ermöglichten uns Kindern einen Freiraum, den heutige kleine Menschen in Robinsonclubs und ähnlichem trotz oder wegen des hohen Comforts wohl vergeblich suchen. Einfachheit hat eben auch seine Vorteile.

Aber ich erinnere mich auch an stinkende Chemieklos, die Enge im winterlichen Wohnwagen, den Stumpf- und Dumpfsinn der abgehalfterten Nachbarn, die das schon damals scherenweite Unverhältnis der Einkommen an den Campingplatzstrand gespült hatte. An die Grabenkämpfe über die mit Petunien abgesteckten Stellplatzgrenzen, den Geruch angebrannter Schnitzel und die "Jeder-sieht-Alles"-Mentalität. mit der wir notgedrungen leben mussten auf 20 qm Rasenfläche mit Stromanschluß. Einfachheit hat eben auch ihre Nachteile.

Nach Jahren des plastikummantelten Lebens in und auf fahrbaren Heimen schwor ich mir damals, nie wieder in dieses spießbürgerliche Idyll von einem "freien" Leben zurück zu kehren. Wie eine sieht halten manche Vorsätze weniger lang als ein Leben so dauern kann.

Also ab damit in die Kiste! Nach 45 Wintern und ebensovielen Neujahrsnächten weiß eine sowieso, dass gute Vorsätze meistens die erste Woche nicht überleben. Und außerdem macht sich ja bekanntlich schuldig, welchEr in, mit und unter Vorsatz handelt. Trotz bester Absichten ist eben oft nicht abzusehen, wohin sich ein Leben so entwickelt. Und wenn wir immer nur unseren Vorhaben treu blieben, wie sollte uns dann die glückliche Fügung, der Zufall und das lebendige Leben erreichen?

Dienstag, 9. März 2010

Was ich in die Kiste packe ...

... oder als unersetzlich einstufe und was von daher den überschaubaren Platz in meinem neuen Heim, dem Wohnwagen mit mir teilen wird und darf, damit werde ich mich in den kommenden Wochen hier beschäftigen. Wozu ausgesprochen auch die Frage zählt, welchen Ballast es ansonsten und überhaupt abzuwerfen gilt beim Aufbruch in ein "bewegtes" Leben, welches zu führen ich mich entschlossen habe. Nun, manche Frauen beschert der Wechsel Hitzewallungen und schlaflose Nächte, mir wird er erstmal mein Leben erleichtern. Indem ich aufgefordert bin, mich von allem zu trennen was eine Frau nicht stolz, sondern lediglich alt und schwer macht.

Dank der Auseinandersetzungen der letzten Tage um den Namen dieses Blogs bin ich denn auch auf einen dicken Batzen gestossen, den ich unter anderen Umständen sicherlich übersehen hätte. Wie das so ist mit den fetten Platzhaltern im Leben, an die eine sich schon ausgiebig gewöhnt hat.

Meiner Lebtag war ich eine, immer auf der Suche nach dem Stückchen unbesetzten Raum, in dem so eine wie ich, die in (fast) keine Schublade so richtig passt eben richtig ist. Dass das so war muss wohl am eklatanten Mangel geeigneter Spiegelflächen gelegen haben. Denn bekanntlich weiss eine erstmal nur deshalb, welche sie ist weil sie sich in anderen wiederfindet. Oder eben nicht. Musik hören wir, weil wir die Resonanzen wahrnehmen. Meine Musik war erstmal stumm. Und weil die Gegenübers in der Nähe ungefähr so zahlreich waren wie die drei goldenen Nasenhaare von des Teufels Großmutter bin ich losgezogen in die Welt als eine, die ihr Glück und Gleichgesinnte suchte.

Nun ist es so, dass eine als große (190 cm) und körperbehinderte Frau mit einem nicht eben durchschnittlichen Intelligenzquotienten (ohje, dass sagt frau doch nicht öffentlich!) und einer eher ungewöhnlich zu nennenden Biografie so schnell keine findet, die ihr nicht unmittelbar und a priori (was VOR jeder Erfahrung bedeutet!) unterstellen, dominant, herrschsüchtig und besitzergreifend zu sein. Angenommene Überlegenheit, und sei sie lediglich von der physische Größe her abgeleitet, scheint noch immer angetan, dass sich der Eine oder die Andere automatisch klein ud unterlegen fühlen.

Es ist ein Automatismus, der hier einsetzt und seine Gründe wahrscheinlich in irgendwelchen vorevolutionären Erfahrungen hat: Obacht, Vorsicht, da kommt ein großes Tier! Und weil groß gleich gefährlich steigt der Adrenalinspiegel in die Höh und ermuntert zu Flucht oder Angriff. Dabei sind, mal rein biologisch gesehen, die größten Viecher die gutmütigsten. Oder hat einEr schon je einen Blauwal gesehen, der sich auf einen kleinen Menschen stürzt? Nein, die Geschichte gibt es, dank Mobby Dick, nur anders herum.

Alle meine Bemühungen, so freundlich, entgegen kommend, friedvoll und kooperativ zu sein wie möglich, so wenig Platz wie nur eben geht mit 190 cm und 90 kg in Anspruch zu nehmen und auch immer wieder die Klappe zu halten, damit keiner vor Schreck ins Angriffsbeissen verfällt haben schlußendlich rein gar nichts genützt. Zeit also, den Versuch, harmloser zu erscheinen als ich bin in die Kiste zu packen! Diesem energetischen Aufwand bin ich zukünftig eher nicht mehr gewachsen.

In die selbe Kiste gehören dann auch die Autoritäten. Denen ich mich zuwandte auf der Suche nach Menschen, die wie ich nicht darum herum kommen aus dem Ganzen irgendwie heraus zu stechen, ob sie es nun wollen oder nicht. Vielen bin ich auf diesem Weg begegnet, und viele haben mich mit ihrem Mut zu So-und-nicht-anders-sein gestärkt. Egal, ob das gerade populär war oder als unterste Kategorie menschlicher Existenz galt. Viele hatten wie ich dieses Herausgehoben-sein gar nicht freiwillig gewählt. Nur die, die nicht in unseren Schuhen stehen halten das außer-gewöhnliche Sein für ein Geschenk. Für alle anderen ist es wie mit den Schamanen, die sich den Bauch halten vor Lachen, weil einE UnerfahrenEr um Einweihung bittet: WelchEr wählt schon freiwillig einen solchen Weg?!

Ich könnte nie eine Bank ausrauben und auch ein heimliches Rendevouz wäre nur von kurzer Dauer. Auf jeder Straße finden sich mindesten 10 Leute, die mich anstarren, als sei ich das siebzehnte Weltwunder und die sicherlich später eine präzise Personenbeschreibung liefern könnten. Lediglich was das Geschlecht angeht würden sie möglicherweise fehl gehen. Denn obwohl mit aussagekräftigen sekundären Geschlechtsmerkmalen gesegnet, bin ich schon in meinen Roaring-Twenties häufiger für einen Mann in Frauenkleidern gehalten worden als für ein waschechtes weibliches Gattungsexemplar. Wahrscheinlich lags an der fehlenden femininen Zurückhaltung. Oder der Absage an die Unsichtbarkeit, mit der jeder Krüppel in der gesundheitsstrotzenden Bundesrepublik belegt ist. Nein, ich glaube, bei näherer Inaugenscheinnahme würde niemand auf Dauer gerne mit mir tauschen. Und das, obwohl ich ein ausgesprochen glückliches Leben führe.

Denn entgegen der allgemeinen Überzeugung ist blosses "Anderssein" nicht automatisch mit "schlechter dran sein" verbunden. Ganz im Gegenteil eröffnet einem bei genauerem Hinsehen diese Grenzexistenz auch ganz neue Räume. Denn an der Grenze ist nichts mehr selbstverständlich. Keine Zugehörigkeiten, aber auch keine Regeln.

Nun behaupten ja die einen oder anderen, wir bräuchten Regeln, um uns zu orientieren. Oder zumindestens an ihnen zu wachsen. Der letzteren Annahme wäre ich vielleicht nicht ganz abgeneigt. Nur haben Regeln einen entscheidenden Nachteil: Sie setzen Verallgemeinerbarkeit voraus. Und die ist bei Grenzfällen eben definitiongemäß eher nicht gegeben. So nützen Regeln in aller Regel nur denjenigen, denen sie entsprechen und nicht denen, die sich an sie halten. Hübsches Beispiel sind die Steuern. Oder die Finanzmärkte. Oder die Wirtschaft, ganz im Groben und besonders im Allgemeinen.

Als junger Mensch im regelfreien Raum und als junge Frau zu einer Zeit, als das Frausein gerade aus allen Regeln der Kunst ausbrach suchte ich nach Menschen, Frauen, die mir vielleicht hätten Beispiel sein können, wie eine im Undefinierten lebt. Ich glaubte sie gefunden zu haben und machte sie zu meinen Autoritäten.

Weil sie das Stück Weg, das ihres war so unnachahmlich gegangen waren versuchte ich, es ihrem Beispiel gleich zu tun. Was ich dabei übersah (man sehe es meiner Unerfahrenheit nach) war, dass eine einen Weg nicht zweimal auf die gleiche Art gehen kann. Hinterrücks hatte ich sie doch mit mir geschleppt wie eine schleichende Infektion, die Hoffnung auf Verallgemeinerbarkeit.

Und was ich noch tat: ich legte diese Autoritäten, Frauen zumeist, auf ihre Nonkonformität, ihre Uniquarität fest. So einzigartig und außergewöhnlich hatten sie bitte immer zu zu sein. In jeder Lebenslage und zu allen Zeiten.

So wurde, was als Hilfegesuch begonnen und aus dem Mangel an Alternativen geboren worden war zu meinem ganz persönlichen Reglementarium. Zum Maß, an dem ich nur scheitern konnte, denn mein Leben war eben nicht so wie das meiner selbstgezimmerten Autoritäten.

Die Enttäuschung, die ich heute oft spüre angesichts meiner Autoritäten, die dann eben doch nicht so frei, so vorurteilslos, so offen und so herausgehoben sind wie ich sie mir gerne gedacht hätte ist der Spiegel meiner Erwartungen, in den ich heute zu schauen habe. Und in ihm abgebildet ist ein Anspruch, der seiner Grundlage entbehrt. Macht wird Wahn, wenn sie nicht mit Menschlichkeit verbunden ist und dem Wissen um unsere Veranlagung, die Dinge zu kurz und zu wenig zu überschauen. Und Stolz wird zu Fanatismus wenn er nicht mit Güte und Gr0ßzügigkeit daher geritten kommt. Dann können wir die Denkmäler nur stürzen.

So packe ich sie also in die Kiste, all diejenigen Autoritäten, die schon zu lange zuviel Platz in meinem Denken eingenommen haben. Ich packe sie hinzu zu meiner falschen Zurückhaltung und der ungeeigneten Mimikrie. Ein Blatt ist ein Blatt ist ein Blatt. Und ich bin immer noch ich, selbst, wenn ich es schon selbst nicht mehr glaube!

Montag, 8. März 2010

Warum "Frauenstolz" nicht mehr "Frauenstolz" heissen darf

Nun, eigentlich wünscht frau (und sicherlich auch mann) sich ja eine schnelle und aussagekräftige Reaktion auf all das, was einEr so bloggt. Dass es allerdings so schnell gehen würde, hätte ich nun doch nicht gedacht ...

Stein des Anstosses ist der Name. Frauenstolz. Der sich - offen und ehrlich - an den Namen einer Gruppe in facebook anlehnt: Emanzenstolz. Ziel dieser Gruppe ist es, Frauen in ihrem Stolz auf´s Frau- und Emanzesein zu bestärken. Ein gutes Anliegen, finde ich. Die Gruppe ist übrigens zugänglich für Frauen und Männer.

Nun fühlt sich eine der Initiatorinnen in ihrem Urheberinnengeist angegriffen. "Frauenstolz" als Plagiat, nicht als Bezug auf einen Begriff, der eigentlich zur trademarkfreien Zone gehörte. Wohl bis heute.

Mich erinnert das an eine Diskussion, die wir in einem anderen Blog an einer anderen Stelle hatten zum Thema der UrheberInnenrechte im Internet. In dieser letzten ungeschützten Zone, in der zwar gelegentlich auch Onlinebankingdaten geklaut, dafür aber bis jetzt zumindest noch gedacht und geschrieben werden kann, was einEr so durch den Kopf geht ... Dass das nicht so bleibt, daran wird ja derzeit kräftig gearbeitet: Versteckt hinter dem Argument des Schutzes von Kindern, Privatsphäre und Copyright wird sich das World-Wide-Web wohl in Kürze in genau das verwandeln, was wir andernorts als der Freiheit so überaus undienlich anprangern: Eine Spielwiese für jedwede Art bürokratischen Reglements.

Ja, es ist besch....en, wenn ich meine Gedanken, bisweilen sogar ganze Textpassagen bei anderen wiederfinde, wo sie als eigene Ergüsse ausgegeben werden. Aber andererseits will ich ja auch, dass meine Gedanken in die Welt kommen. Und dabei erscheint es mir nicht so unbedingt bedeutsam, dass auch noch der letzte User weiss, dass diese von mir stammen. Wenn das denn überhaupt der Fall ist ... Denn was heute als der geniale Wurf einer oder eines Einzelnen dargestellt wird, ist gestern auf dem Mist von ungezählten anderen gewachsen.

Da, wo sich inzwischen immer mehr der Gedanke durchsetzt, dass es soetwas wie Eigentum an Grund und Boden nicht gibt (Kann einEr Land besitzen?)und auch die Besitzansprüche in Beziehungen lediglich Scheidungsanwälte reich machen ... da herrscht nach wie vor eitle Einigkeit über die Patentrechte an gedanklichen Gütern. Die aber eigentlich ja zu den windigen, sich leicht verströmenden gehören.

Und natürlich kommt an dieser Stelle immer das Argument, dass einEr ja davon leben muss, von ihren und seinen Erfindungen und Eingebungen. Stimmt auch. Und dennoch: Schreiben die meisten von uns ja - sofern sie sich nicht nur lediglich am eigenen Einfallsreichtum berauschen - für andere. Für deren Gedanken, Phantasien und Leben, die wir zu bereichern und zu beflügeln suchen. Müsste ich da nicht theoretisch an jeden Gedanken, jedes Wort ein Schutzhäkchen setzen so wie in England an die Autos Knöllchenzahlungs-säumiger VerkehrsteilnehmerInnen?!

Es gibt einen Grund, warum man in dieser unseren Republik zumindest bis heute Begriffe der Umgangssprache nicht zugriffsrechtlich schützen kann. Sonst dürften wir das Wort "Kinder" schon seit der Erfindung der weiss-braunen Schokolade nicht mehr verwenden. Und die Brigitte hätte sich "Frauenstolz" bestimmt schon in den 50ern patentieren lassen.

Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll, dass sich jetzt auch Frauen schon untereinander darauf hin abklopfen, ob da nicht eventuell die eine von der anderen abgeschrieben hat. Sollte da noch ein Zweifel bestehen, gestehe ich doch lieber gleich: Ja, habe ich. Und zwar in vollster Absicht und Überzeugung. "Frauenstolz" ist mir ein liebgewordener Begriff, der allerdings unter den hiesigen Umständen einiges an Attraktivität verliert. Deshalb mache ich mich jetzt mal auf die Suche nach einem neuen Namen, der vielleicht ebenso verfänglich, dafür aber ungeschützter ist!

Frauenstolz

"Oh, bitte! Nicht schon wieder ein neuer Blog ..." höre ich meine netzmüden Freundinnen und Freunde just in diesem Moment stöhnen. Gibt es nicht schon genügend verschriftlichte Meinungsvielfalt im world-wide-web? Müssen wir das jetzt auch noch lesen/wissen ... und überhaupt: Braucht die Welt denn das?

Nein, die Welt braucht "das" sicher nicht. Wohl aber wir. Denn das Internet und vor allem Blogs sind ein Teil einer freien Meinungskultur, die sich eben nicht an Verkaufszahlen, Anzeigenkunden und der gerade aktuelle politische Lobby mißt. Sondern an dem, was - in diesem Falle mich - bewegt und interessiert.

Das ergibt Vielfalt. Vielfalt der Meinungsbilder. Vielfalt der Argumente, Weltanschauungen, Glaubensbekenntnisse, Erfahrungen. Eben eine vielfältige und differente Kultur. Die ist eben nicht ein- sondern vom Wesen her multidimensional. Was eben auch Fülle mit sich bringt. Vieles, was sich da entfalten und zur Kenntnis genommen werden will.

Stimmt, dass erfordert schon ein bisschen "holistische" Aufmerksamkeit. Die Wahrnehmung von Differenz und ihrer Äußerungen ist eben nicht mit dem Abarbeiten der wöchentlichen Presseorgane Genüge getan. Da muß einEr schon breiter lesen, großräumiger sozusagen und sich vor allem auch zugestehen: Nein, vollständig erfassen läßt sich das heute nicht mehr. Und um den Netzalltag dann etwas leichter zu gestalten gibt es dann ja auch die vielfältigen technischen Hilfsmittel: RSS-Feed, Mailinglists etc., wo ich festlegen aknn, was und welchEr mich interessiert nach einer ersten In-Augen-Schein-Nahme. Und keinEr ist böse, wenn ich mich dann später auch wieder ausklinke, weils dann eben doch nicht so gewesen ist: Die internette Kommunikationskultur lebt von diesen Entscheidungsprozessen. Und von der Fähigkeit der oder des Bloggerin/s, Netze zu knüpfen. Auch so ein Tagesdrahtseilakt in einer Kultur der Unterschiedlichkeit.

Aber warum denn nun "Frauenstolz"? Nun, es gibt die Mädchenmannschaft, missymagazin, chaosmädchen .... Im Unterschied zur allgemeinen Rezeption, wo sich denn die Frauenbewegung befände (nämlich kurz vor ihrem demoskopischen Ende) nimmt sie im Netz gerade volle Fahrt auf: Viele junge Frauen bloggen als Feministinnen Inhalte, die eine gestandene Frau heute nur noch gelegentlich zu verbalisieren wagt. Der vorurteilsbehafteten Neigung zum Flachbild im "realen" Leben steht auch hier die Vielfalt der Lebensentwürfe entgegen, die sich lieber den Freiraum multimeialer Welten erschliesst.

Zeit also, als Nicht-mehr-Mädchen in diesen interessanten Kanon einzusteigen. Mit einem Baßton, der schon ein paar Stimm- und Stilbrüche hinter sich hat. Nicht als Pro-Aging sondern als generationenübergreifende Verständigung, die sich dem lebendigen Wandel aller Phänomene verschrieben fühlt!

So, let´s talk!