Mittwoch, 12. Mai 2010

Kurz vor Schluß

So ist es mit den Veränderungen im Leben: Hat einEr sie erst mal losgetreten oder bloß zugelassen, dass diese Kraft um sich greift, schon bleibt kein Stein mehr auf dem anderen.
Was als vorbildlich geplantes und gut strukturiertes "Kistenpacken" begann, das hat sich haste-nicht-gesehen in einen Mahlstrom verwandelt, in dem nicht nur Kisten und Kästen, Sofas, Necessaires und Kochtöpfe sondern auch Menschen, Gedanken, Vorhaben und Absichten verschwinden und zu neuen Ufern untergehn.

Welche hätte vor Wochen gedacht, dass ich noch Wochen inmitten eines halb-aufgelösten Lebens leben würde, jenseits aller ästhetischen Wunschvorstellungen ein trautes Heim betreffend? Nahezu alles, was mir einst lieb und teuer war, ist entweder in Kisten verstaut oder hat neue Heimatstrände gefunden. Zwar stehen noch Blumen auf meinem kombinierten Ess-Arbeits-Abstell-Aufräum-Tisch, aber die Hälfte davon ist schon seit Tagen verwelkt und ich habe nicht den "Drive", sie fort zu werfen. Wo ich früher Inseln der Schönheit geschaffen hätte, um meinem empfindlichen Seelenleben Orte des Auftankens zu verschaffen, da halte ich es heute mit Tanja Blixen: Wieso mit Sandsäcken um den Stausee kämpfen, wenn dieser Fluß in Mombasa wohnt? Oder anders ausgesprochen: Einer freiwerdenden Wildkraft kannst du dich nicht entgegen stellen.

Da diskutiere ich an anderer Stelle mit meiner Freundin Marie-Luise über das "Wilde" (http://hollesgartenblog.twoday.net/)und bin doch schon mitten drin, im Auswilderungsprozess. Was habe ich Lebtags für Energien dafür aufgewendet, mir Dinge anzueigenen, zu verschönern, zu erhalten und aufzubauen! Nicht, dass ich damit jetzt sagen möchte, dies alles sei nutz- und wertlos gewesen. Es ist auch ein Teil des "irdischen Los", dass wir nicht für die Ewigkeit bauen, auch wenn wir es immer wieder versuchen. Aber so wie ein bisschen Wind und Asche aus einem Vulkan ausreichen, unsere Träume von der grenzenlosen Mobilität in ihre Schranken zu weisen, so reicht der Wechsel von 400 auf 8 qm um mir zu zeigen: Leben heisst w i r k l i c h, in Bewegung zu bleiben.

Dabei ist die Bewegung gar nicht immer so unmittelbar wahrzunehmen. Der Armbruch eines Kindes und ein unfertiges Buch haben meine Pläne, wann und wie der Aufbruch, das In-Bewegung-kommen denn vonstatten zu gehen haben kurzerhand ausgehebelt. Erst einmal hatte ich mich wohl noch mit menschlichem und allzu amtlichem auseinander zu setzen. Oder bessser: zusammen zu setzen. Und siehe da - im Innersten spürte ich plötzlich auch meinen unheiligsten Wunsch, es möge sich doch alles als Spuk heraustellen und so bleiben, wie es ist. Nix von wegen "Aufbruch". Im stillen Kämmerlen hegte ich unbeachtet neben allen Aktivitäten den Wunsch, dieser Krug möge doch, den äußeren Umständen verschuldet, an mir vorüberziehen.

Was folgte, war eine Zeit des vermeintlichen "Auf-der-Stelle-tretens" und Kreiselns um mich selbst. Doch was mir eingangs wie die wankelmütige Umlaufbahn einer irren Tretmühlenfahrt erschien, entpuppt sich so langsam als wohl oder übel not-wendige Retouren. Labyrinthisch und spiralig ab- und aufwärts, nur horizontal bewegungslos, in Wahrheit aber Spurrillen-vertiefend und Schwung holend. Abschied nehmen der ganz anderen Art.

In der Zwischenzeit bin ich älter geworden. Um mich herum die Menschen meiner Generation und in ihren Augen meine eigene gespiegelte Furcht: Nicht nur die Haut unter den Augen kriegt Falten, nicht nur der Bauch hängt durch. Auch die Seele scheint manchmal wie ausgeleiert vom Allzuvielen, was da erst hinein und dann wieder hinausbefördert sein muss. Ein Klammerreflex setzt ein, ein leise panisches Festhalten am scheinbar Errungenen, ein bisschen sicheres Floss in dem zunehmend schneller fließenden Strom des Lebens. Schon können wir ihn hören, den Fall am Ende, sein Rauschen summt im Ohr und setzt die Gewissheit in Bewegung: Entgegenstellen können wir uns ihm kaum.

Und da komme ich, springe vom Rettungsboot mitten in den Fluss und weiß nicht einmal genau, ob ich das Schwimmen noch beherrsche. Ja, damals, als wir JUNG waren - da glaubten wir zumindest, dass wir schwimmen könnten. Aber wie oft schon sind wir untergegangen ...

Es steht immer ein Berg von Beweisen auf der Seite der Unmöglichkeit. Meine eigenen Befürchtungen sind seine Nahrung, und mein Zögern verschafft ihm Beharrlichkeit. Aber gibt es richtige Entscheidungen und folglich auch falsche? Steht nicht hinter jeder Tür eine Erfahrung, die ihrerseits wieder mit neuen Entscheidungen aufwarten wird?

Nun gut, ich bin ja gesprungen. Auch wenn ich mich gerne noch in der Nähe des Floßes aufhalte. Wie gesagt, es gibt da den Hoffnungsschimmer, dass die Erfahrng zeigen möge, das Floß sei der beste aller Orte. Denn wenn das Leben schon tödlich endet, dann lieber stillhalten, vielleicht werde ich ja übersehn ...
Aber ich schwimme doch schon! Die Strömung hat mich doch längst schon erfasst. Die Dinge und mit ihnen der Halt sind aufgegeben, jetzt kann ich mich nur noch treiben lassen. Mäandernd. Trudelnd. Und immer dem Ende entgegen.