Sonntag, 27. Juni 2010

Von linken Schuhen, blauen Steinen und den Bergen

Eigentlich wäre ja schon letzte Woche mal wieder ein Zwischenbericht fällig gewesen. Aber wie das beim Reisen so ist ... erstens kommt es anders, und zweitens als eine denkt. Zwar sind inzwischen nahezu alle Campingplätze (zumindestens diejenigen, die wir besucht haben) mit WLAN ausgestattet - ein Zugeständnis an die Unentbehrlichkeit digitaler Kommunikation, so wie einst die Poststationen mitten in der Wüste - doch vergißt man dabei allzu leicht, dass es Verarbeitung braucht, bevor eine das Erlebte in Worte und dann auch noch in ein Netz speisen kann.

So habe ich mich denn ein bisschen aus der Welt zurück gezogen um dieselbige auf mich wirken zu lassen. Und was das für eine ist, diese Welt ...! Da gibt es Meere und Berge, Wälder und Steine, Straßen und Städte und Menschen dazwischen ... Aber fangen wir in der Mitte vom Anfang an:

Nach unserer Pause im französischen AdrecheTal im Le Mas Bleu (www.lemasbleu.com) mit wenig Poolliegen (dreimal dürft ihr raten - es regnete immer noch in Strömen!), viel Marktbesuchen (Käse, Käse, Kräuter und wunderbare indische Täschchen, Schals und Kleider!) und gelegentlichem Schwimmen in der Beaume (ja, manchmal regnete es dann auch nicht) fuhren wir am vergangenen Sonntag wieder los. Tatsächlich tauchte der ungeheuer patente Landwirt der "Chataingne" (alle Campingplätze in der Ardeche heißen nach der Kastanie, mal "an", mal "unter" und gelegentlich sogar mal "auf") zum vereinbarten Zeitpunkt wieder auf und schleppte unseren Wohnwagen mit seinem Minitraktor wieder frei. Auch das Anhängen klappte problemlos, so daß wir uns um 11:30 Uhr wieder on the road befanden, diesmal mit dem Ziel "Mittelmeer". Was uns wie ein Katzensprung erschien wurde jedoch bald zu einem wüsten Kampf gegen die Naturgewalten: Wolfgang, vom unerwarteten Müßiggang der Pausenwoche gequält (ja, ja, das Innehalten will halt auch gelernt sein!) hatte sie herbeigerufen: La Mistral! "Der Westwind weht" - intonierte er ein ums ander Mal in Anlehnung an "Chocolat", wo die Windin Menschenfrau und Kind nebst Ahninnenasche vor sich her treibt, unfähig zu bleiben und Fuß zu fassen, getrieben von Ort zu Ort!
Ja, ja, man solte halt immer auf die eigene Rede achten, zumal, wenn man so unbedacht Größen anruft, die weit über den eigenen Horizont reichen. Gerufen - gekommen. So blies also pünktlich zu unserer Abfahrt ein Wind mit einer Stundengeschwindigkeit von satten 400 km - was unsere Reisegeschwindigkeit von stattlichen 80 auf 30 km/h reduzierte. Ganz zu schweigen vom Reisegefühl! Das selbst bei strahlendem Wetter unvermeidliche Schwanken und Springen steigerte sich nun zu einem wilden Herumgeschleudere und wildwestähnlichem Hammelhornreiten, bezwingbar zwar ohne Brechreiz aber dafür trotz niedriger Temperaturen nur mit achselnässendem Körpereinsatz beherrschbar. Wir brauchten also freundliche 9 Stunden, um ans Mittelmeer zu kommen, das uns - da die Windin vom Landesinneren her blies - spiegelglatt, dafür mit sandstechendem Dünenbeissen begrüßte. Schnell wurde das erste Kilo Muscheln trotz meines Einwandes, die Anhängerkupplung sei auch ohne Kalkmassde schon bis an die Bruchgrenze belastet, gesammelt und "nach Hause" geschleppt. Tja, was will eine machen gegen die urgewaltigen Dispositionen: JägerInnen und Sammler.
Trotz unverminderter Windgeschwindigkeit verbrachten wir eine ruhige Nacht, in der sich langsam auch meine Träume beruhigten. Ehemalige Nachbarn besuchten mich, freundliche Masken vielen ab um das Dahinterliegende zu offenbaren. Waschgang, meinte meine Freundin Ana.
Um uns herum wieder Camper aller Nationen - nein, nicht wahr, im wesentlichen HolländerInnen in monströsen Wohnmobilen. Niemals hätte ich gedacht, dass es ganze Luxusvillen auf Rädern gibt, futuristische Kreationen, für die man ganz bestimmte Fahrzeuge mit Anhängerkupplungen auf dem Dach benötigt um sie von der Stelle zu bewegen. Nunja, jedem sein Spielzeug ... oder?
Obwohl ja eigentlich ein Meervolk, das an Winde gewöhnt sein müsste, flohen am nächsten Morgen sämtliche Nachbarn die Küste. Vom Exodus seiner Gäste ein wenig überrollt kommentierte der deutsche Campingplatzbesitzer diese Völkerwanderung mit einem lakonischen Kommentar: Nunja, der Wind ist heuer wohl ein bisschen arg. Aber er bläst in jede Richtung. Recht hat(te) er.
Wir beschlossen - auch wegen des Windes - nun doch nicht am Meer und vor allem "durchs" Meer zu fahren: Entlang der südfranzösischen Küste führt eine Straße auf einer Art Deich mitten durchs Wasser! - sondern ins Landesinnere auszuweichen, Richtung Toulouse. Die Pyrennäen lagen vor uns, und in uns die Hoffnung, sie "obenrum" ein wenig zu umfahren. Aber was ist schon "obenrum". Und überhaupt: Hatte ich nicht während der Fahrt durch das Massif Central, in dessen Mitte die Ardeche fließt geschrieben, wie gut mir die Steine tun? Wie sie mich mit Stärke und Kraft, mit Mut und Stabilität erfüllen?! Eben. Be aware of your wishes!
Da wir mit unserer Maximal-Reisegeschwindigkeit ja bereits in den Genuß des lasterhaften Großmuts der Viel-Peesser gekommen waren, beschlossen wir also Landstraße zu fahren. Und übersahen dabei geflissentlich, das was auf der Karte wie ein sanftes Schlängeln anmutet in Wahrheit ein exorbitantes Auf- und Nieder bedeuten könnte! Voila, les pyrenees!
Wir fuhren also ... und fuhren, und fuhren, und fuhren. Im Nachhinein betrachtet (ich weiß ja inzwischen, was noch vor uns lag ...) lediglich ein kleines Vorspiel zum stetigen Ansteigen und Abfallen des sogenannten Vorgebirges. Durch wunderbare Landschaft voller klarster Luft, Wäldern, so weit das Auge reichte, malerischen Flußtälern und verschlafenen französischen Ortschaften. Und an jeder Wegkreuzung eine Madonna, die hier schon Fatima heisst - wir näherten uns Lourdes.
Der Tag zog dahin, die Straße wurde steiler und steiler, wir immer langsamer - und die Campingplätze immer spärlicher. Was mir noch vor wenigen Tagen Panikhormone durchs Blut gejagt hätte streifte inzwischen nur noch perifer meinen Gedankenhorizont: Diese Reise ist gefüht, dessen war ich mir inzwischen sicher. Wenn es soweit wäre, würden wir den richtigen Platz schon finden. Und sollte uns Achsbruch, Reifenriss und Hirntod ereilen - nun, wir waren im Land der Göttin und der erfindungsreichen Bastler, die nichts kannten, das man nicht wieder reparieren konnte. Was also sollte uns - mal ganz ehrlich - WIRKLICH passieren? Irgendwie schien mein Vorrat an Ängsten und Befürchtungen, an plastisch und phantastisch ausgemalten Katastrophenszenarien langsam aufgebraucht, und eine angenehme Fatalität erfüllte mich. Neben Gedanken an linke Schuhe, die Festigkeit von unbeschreiblichen Wolkenszenarien und der Betrachtung von Zitronenfalter-Gelb an Eisenerz-Grau ... wie kommt es eigentlich, das an Landstrassen immer linke Schuhe liegen? Wegmarken fürderhin einbeinig Reisender, die sich überflüssigen Balastes entledigt hatten ...? Und warum ist Blau eigentlich die Farbe der Sehnsucht?

Wir fanden den Platz für die Nacht, wie gesagt, im Nebenbei: Ein stiller Ort, mitten im Wald an einem verwunschenen Gebirgsbach, ganz und gar überwachsen von Farnkraut und Schlingpflanzen, die ihre Bärte ins Wasser hängen ließen. Die Steine sangen in gurgelnden Tönen, und ihr Grün und Gelb leuchtete wie von einem inneren Licht. Fraglos - wir waren im Land der Magie angekommen - so wir es denn je verlassen hatten.
In der Nacht weckten mich die Schreie eines Tieres, die ich noch nie gehört habe (als hätte ich je schon behaupten können, viele Tierstimen vernommen zu haben!) - ein lautes Kreischen, wie es die wilden Papageien von sich geben, nur waren wir eindeutig für solche Geräusche noch zu weit nördlich. Ich saß lange wach und lauschte dieser ungewöhnlichen Akustik, ab und zu beantwortet durch den Schrei einer Eule und anderen Nachttiergeräuschen. Was es alles zu hören gibt in der Welt!
Am Morgen erfuhren wir von der über meine geringen Französischkenntnisse nahezu euphorischen Campingplatzbesitzerin, dass es hier sogar noch frei lebende Wölfe gibt. Und manchmal sogar wieder ein Bär gesichtet wird. Ein glückliches Land, sehr leer (an menschlichen Maßstäben gemessen) und wunderbar wild auf eine sehr sanfte Art. Vielleicht der schönste Ort, den uns diese Reise beschert hat. Und offenbar der Ort, den wir finden sollten, denn gleich nach unserem nicht ganz so frühen Aufbruch "fand" uns die schnurgerade Straße, die uns ins Baskenland und an den letzten Zipfel der bretonischen Küste bringen sollte.
Das Baskenland! Sagenumwobener Ort voller Partisanen, wilder, schwarzäugiger und -bärtiger Kerle mit Barrett und Machete. Land der Frauen, dunkelhäutig und voller Wild- und Entschlossenheit, der französischen und spanischen Herrschaft die Stirn zu bieten! So - oder so ähnlich - war zumindest das Bild, das ich in mir trug, genährt von virtuellen Berichten jedweder Art über diesen abgelegenen Ort auf der europäischen Landkarte.
Wahrscheinlich lag es an diesen Phantasmen, dass ich erst dachte, wir hätten uns verfahren: Plötzlich verwandelte sich die schlagloch-übersähte und notdürftig geflickte französische Landstrasse unter unseren Rädern in eine sorgsam geteerte, mit ordentlichen Markierungen versehene "Avenida", gesäumt von nagelscheren-getrimmten, grellgrünem Rasen vor Häuschen, die allesamt wie frisch aus der Schweiz importiert anmuteten. Nein, dieses sanft hügelige, saftig grüne Land voller malerischer Katen in Weiß mit säuberlich gemalerten roten Fensterläden und geschnitzten Balkonen, eines akkurater als das andere - das konnte doch nicht das berüchtigte Baskenland sein?! Wo waren die abblätternden Farben unbeschreiblicher Grün- und Blautöne geblieben, wo die Häuser zusammen gesetzt aus tausenden Bruchsteinen, gefunden am Wegesrand der Berge? Wo die Autowerkstätten mit zerbeulten, schon antik anmutenden 2-CV in allen Regenbogenfarben davor - und einem Berg Schrott im Hof, der sicherlich noch einmal zu gebrauchen war?! Wo die "Tabac", die allerorten den Straßenrand säumten, Männer in verschlissenen Hosen und Frauen mit Hutgebilden aus Stroh und Wolle, die in jeder Großstadt futuristisch gewirkt hätten?
Hier war es aufgeräumter, als in jeder schwäbischen Kleinstadt - keine Frage, das Baskenland ist kein Fetzen französisch! Freiheit für das Baskenland!

Kein Wunder also, dass uns der erste Campingplatz, den wir hier anfuhren mit seiner englischen Besitzerin konfrontierte, die uns mit säuerlichem Blick auf unser in Würde gealtertes Mobil anwies, "la poubelle", den Müll (man höre sich dieses Wort an: puh-bel -schönes Bäh!) auch ordentlich zu trennen und ja mit unseren Rädern nicht den sorgsamm getrimmten Rasen zu "touchieren". Touchieren? Wie in aller Welt sollte man ein 12m Fahrgestell durch ein in winzige Parzellen unterteiltes Gelände manövrieren ohne den Rasen zu berühren? Nach dem wir uns eine dreiviertel Stunde im stetigen Hin- und Her geübt hatten und ich an die Grenzen meiner dank 9-stündiger Fahrt arg strapazierten Nerven angelangt war, verließen wir den Platz unverrichteter Dinge. Nicht ohne allerdings Adresse und Nummer des Passports hinterlassen zu haben: Für den Fall, dass der Rasen doch noch Schaden genommen hatte.

Was uns zuerst wie ein Schlag des Schiksals erschien, entpuppte sich bald als Glücksgriff: Wir fuhren mit unseren letzten Reserven ans Meer und fanden einen wunderbaren, direkt hinter einem Deich gelegenen Campingplatz auf dem wir sogar wieder den Rasen befahren durften. Name? Reisepass? Identifikationsnummer? Ohne mit der Wimper zu zucken überreichte mir der freundliche Besitzer die Chipkarte des Platzes, freier Zugang zu allen Plätzen und Orten, Internet, machine lavoire und Klospülung inbegriffen. Wir würden schon nicht fliehen, meinte er mit - diesmal wissend lächelndem - Blick auf unsere Elsa. Und falls doch hielte sich der Schaden ja in Grenzen. Wo wir nicht mal Elektrizität in Anspruch nähmen.

Wenn einer soviel Gutes wird beschert, das ist schon eine Pause wert. Wir verbrachten zwei Tage am Meer, meine GefährtInnen sammelten ein weiteres Kilo Muscheln und Steine (gegen die weiteren 25 konnte ich mich erfolgreich zur Wehr setzen!) und ich kam wieder einmal ein bisschen mehr zur Besinnung. Und stellte fest: Reisen, vor allem die vielen ständig wechselnden Eindrücke, das schlaucht ganz schön. Unser Hirn, seit Jahrmillionen getrimmt auf Wahrnehmung und Orientierung kommt sichtlich an seine Grenzen, wenn die Rahmenbedingungen ständig wechseln. Jedenfalls bei so einem Kontrollexemplar, wie ich es bin.

Ich war müde und schlief, las, im Schatten auf meinem mitgeschleppten Divan liegend, verspeiste Honigmelone, die tatsächlich ihrem Namen Ehre machte und saß am Ozean. Langsam, dass konnte ich körperlich spüren, sickerte das gesehene und Er-Fahrene durch meine Zellen und kam an im Neokortex. Aha, hier also war ich - ich?

Im Nachhinein betrachtet hätten wir hier wohl noch weitere drei Tage und Nächte bleiben sollen - jedenfalls, wenn wir gewußt hätten, was vor uns lag. Spanien. Eigentlich ja auch nur ein Wort - oder eine Stelle - zugegebener Maßen eine relativ große, gemessen am europäischen Rest - auf der Landkarte. Aber ich ahnte schon, dass hier etwas ganz Anderes auf uns zu kam.

Ute Schiran hat einmal gesagt: Wir müssen die ganze Landschaft einschliessen. Als wir jetzt durch Spanien fuhren, verstand ich, was sie damit gemeint hatte. Und wie schwierig das sein kann. Nach der betörenden Schönheit Frankreichs erwartete uns ein Land, das jahrhundertelanger Raubbau an seiner Natur in eine agragindustrielle Ödnis verwandelt hatte. Kilometerlange Felder reihten sich in einer endlosen Fläche aneinander. Farbe? Graubeigebraun. Denn Wasser scheint es hier wohl auch nur noch gelegentlich zu geben.
Was erklären würde, warum der spanische Campingplatz, obwohl direkt neben der Autobahn-ähnlichen Straße gelegen - der teuerste der ganzen Reise war: Es gab einen Pool, wie ein Augapfel gehütet von einer Poolwärterin und mit antiseptischer Dusche als einzigem Zugang versehen, die durch einen Bewegungsmelder gesichert war: Kaum näherte man sich dem heiligen Wasser auf 500 Meter, ergoss sich ein Schwall stinkender Brühe. Okay, das hatte sicherlich kein Keim überlebt. Ob ich es überleben würde, würde der morgige Tag zeigen. Aber immerhin konnte ich jetzt dem Hitzschlag entgehen, denn obwohl der Himmel - mal wieder - von einer dichten, endlosen Wolkendecke verhangen war, war es schwül wie in den Tropen. Nur eben ohne Grün.

Wir nächtigten neben einem Briten mit futuristischem Großmobil, an dem er bis spät in die Nacht und gleich am frühen Morgen wieder herumschraubte: Räder, die eigentlich noch einen völlig intakten Eindruck machten, abgeschraubt und Ersatzräder draufgeschraubt. Aber irgendwas schien mit denen auch nicht in Ordnung, also alle wieder runter und im Mikadoverfahren rundum gewechselt. Als wir schon Wetten abschlossen, ob wohl gleich der dazugehörige Nissan-Roadster an der Reihe sei, begann der gesehene 80 Jahre alte Besitzer mit dem Abbau von Radträger und sonstigen Aufbauten. Mit irgend etwas muß man seine Zeit ja sinnvoll füllen.

Es schien, als würden uns auf dieser Reise alle Personen, denen wir begegneten sämtliche national-gefärbten Vorurteile vor Augen führen, die eine so aufbaut im Laufe eines Lebens in einer Multi-Nationen-Gemeinde: Dicke Holländer mit Hitzepickeln auf der rosig-verbrannten Haut, glutäugige Französisch-Algerier, die beim simplen Anblick einer blonden Frau in hysterisches Balzgluckern verfallen, ihren Müll in die Landschaft schmeissende Spanier und leicht irritierte Deutsche, denen die Welt eigentlich eine Nummer zu groß ist. Woher kommt das wohl, diese Gen-Geographie, die zu einem assimilierten Verhalten zwingt - und einEn im Glauben wiegt, natürlich gaaanz anders zu sein als der Rest der eigenen grenzstaatlich definierten Sippe ... Mich würde ja schon mal interessieren, was die Leute unterwegs so wohl über uns gedacht haben ...

Wir jedenfalls dachten nur eines: Nur raus aus diesem endlos, öden Spanien! Aber wie das so ist bei den Dingen, die man undbedingt und gleich und sofort hinter sich bringen will: Sie ziehen sich ins Unendliche. Auf Felder folgten Felder - und wieder Felder, nur gelegentlich unterbrochen von Trabantenstädten, die ostdeutsche Städteplaner nicht besser hingekriegt hätten: Hochhaus türmte sich über Hochhaus, und selbst inmitten der wenigen, ländlichen Idyllen fand sich bestimmt auch noch eines. In aller Regel leer. Vielleicht ist die Luft im 27. Stock nicht mehr ganz so stickig ....?

Als wir schon versucht waren, Spanien in Gänze ab zu schreiben (nun gut, aber wenigstens Castillien!) überraschte uns das Land und führte uns UNSERE Vorurteile vor Augen: Plötzlich warf sich die Erde in die Höhe, formte Gebilde aus Stein und Sand, faltete sich zu Schluchten und floß dahin in Flüssen reinsten Wassers, wie ich es noch nie gesehen habe. Wir waren im Naturpark gelandet, ein riesiges Feld voller Steinkolosse, so sanft gewellt und gerundet als wären sie Jahrmillionen von Wasser umspült gewesen.
Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr hinaus - das sich so schnell nicht mehr legen sollte. Die Sierra du Duoro reicht bis nach Portugal und weit bis ins Land hinein - und ihre ersten zarten Falten und steinernen Monumente waren nur ein Vorgeschmack auf die Berge, in die wir geografisch Ahnungslosen nun hineinfuhren. Wir wollten den Weg abkürzen, statt wie geplant entlang der kastilischen Küste mitten durchs Land, um den Zipfel der iberischen Halbküste "abzuschneiden". Wir vergaßen, dass für den Mitteleuropäer die Terra cognita in Spanien endet. Nun gut, da gibt es noch Portugal ...

Über eine winzige Brücke über ein unglaubliches Tal - natürlich verunziert durch ein Wasserkraftwerk nebst Umspannbau, dem ganze Dörfer weichen mußten - errreichten wir Portugal, das grobe Ziel unserer Reise. Und schliefen auf dem günstigsten Campingplatz unserer Reise. Doch als wäre hier alles umgekehrt proportional sank zwar der Preis, doch wuchs der organisatorische Aufwand: Wurden wir in Frankreich und selbst in Spanien noch gelegentlich sogar nach unserem Namen gefragt, benötigte der portugiesische Wärter alle Pässe nebst Fahrlizenz, Zulassungsbrief für Wagen und Wohnwagen und grüne Versicherungskarte.
Ob er bzw. die portugisiesche Verwaltung wohl fürchtete, wir würden das altertümliche Badehaus demontieren und mitnehmen? Wenig mehr war hier zu finden, und auch die Pinien sahen nicht danach aus, als wären sie mal eben zu entwurzeln, ganz zu schweigen davon, dass 20 Meter lange Gewächse auch auf einem 12m Gefährt außerordentlich schlecht zu transportieren sind. Aber vielleicht hatten sie ja Bedenken wegen der ordentlich aufgeschichtet, wunderschön glitzernden Mauern ... es soll ja Staaten geben, da steht die Gefängnisstrafe auf die Ausfuhr von Steinen ...

Was auch immer es war oder ist, wir wurden nach allen Registern der Verwaltung erfasst und katalogisiert - allerdings lediglich auf ein altersschwaches Pauspapier, das anschließend in einer noch älteren Schublade eines prähistorischen Schreibtischs verschwand. Eine wahre Fundgrube wahrscheinlich für anthropologisch interessierte Archäologen, irgendwann einmal ... heute wahrscheinlich Entgeldlegitimation für die beschäftigten studentischen Hilfskräfte, die ansonsten ihre Zeit sinnvoller mit der Lektüre von Dan Brown oder der Verfolgung des Fußballspiels Portugal-Brasilien verbrachten. Was gibt es auch schon zu tun auf einem Platz, auf dem Leute herumwohnen?

Ich kann nicht behaupten, dass ich dieser Lebensphilosophie abgeneigt bin, auch wenn sie mich amüsiert. Wahrscheinlich bedient sie eben irgend eine Anforderung des europäischen Parlaments, dieses Auswuchses bürokratischer Überblähung wie nach dem Genuß von zuviel Mehlspeis, weil der Campismo rural sicherlich aus irgendeinem Topf gefördert wurde. Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist ... und sei es bloß auf dem Papier. Man muss sich die Papiertiger eben bloß vom Leibe halten.

Eigentlich wollten wir uns ja dann den Ort noch ein bisschen anschauen ... aber inzwischen gelingt es uns nicht mehr, Berta von Elsa zu entkoppeln. Wahrscheinlich hat diese Tour sie auf immer zusammen geschweißt ... Aber wozu gibt es Taxis? Irgendwie doch eine interessante Mischung - leben im Wohnwagen und ab und an auf großem Fuß ... Mit einer Luxusausgabe unserer Berta wurden wir ins Städtchen kutschiert, kauften mit winzigen Filzapplikationen verzierte Täschchen, handgemacht von einer wunderschönen und schielenden jungen Handwerkerin und begutachten mindestens 200 Handtücher, farbenprächtig ausgestellt auf der touristischen Wandermeile. Die Portugiesen scheinen eine Wäscheobsession zu pflegen, den nirgendwo sah ich jemals eine solche Vielfalt an Tisch- und Bettwäsche, Handtücher in jeder Größe und Form nebst Decken und Deckchen, Überwürfen und Kissen wie hier. Die schier überwältigende Fülle nahm uns derart in Anspruch, dass wir die Abfahrt des letzten Taxis verpassten und die rund 2,5 km lange Wanderung rund um den Ort zu Fuß auf uns nehmen mussten - beladen mit Wasser und Früchten, Täschchen und Käse, Tomaten und neuen FlippFlopps. Kein Wunder, dass wir schliefen wie die Steine.

Über Nacht waren wir sicher verwahrt hinter Schloß und Riegel, die sich erst am Morgen wieder öffneten. Irgendwie hatten wir verpeilt, dass es in Portugal eine Stunde früher ist, also wunderten wir uns noch über den späten Antritt diemal der Wärterin, die sogar in Deutschland geboren war. Vielleicht war es dieser Umstand, der sie veranlaßte, uns eine ganz besonbdere Route zu empfehlen ...

Wir werden es wohl niemals erfahren, warum sie uns in die Berge schickte. Vielleicht auch eines dieser national geprägten Vorurteile, in denen alle Noreuropäer Bergvölker sind ... Oder sie glaubte, dass der Zugkraft eines Mercedes eh kein Hindernis gewachsen ist - was erklären würde, warum es in Portugal von diesen Autos nur so wimmelt. Obwohl ... wahrscheinlich gibt es eben kaum ein anderes Auto, dass dieser Bergwelt tatsächlich gewachsen wäre ...

Ich weiß nicht einmal, wie dieses Gebirge eigentlich heißt, was für meine geografischen Unkentnisse im besoneren, vor allem aber über die europäische Integrationskraft spricht. Wenn ich mich vor den Pyrennäen gefürchtet hatte, so lehrte mich dieses Gebirge tatsächlich die Furcht. In sengender Hitze quälte sich Berta mit Elsa im Anhang einen Berg nach dem anderen hinauf - und mit qualmenden Bremsen wieder hinab. Zum Glück gab es überall Schleichspuren und Bremsrampen - was uns zeigte, dass diese Berge nicht nur uns kanpp an die Leistungsgrenze brachten. Die Schönheit der Landschaft ging völlig unter im Streß, dass es vielleicht schon der nächste Berg sein würde, der Berta den Rest geben würde ... Jeden Moment glaubte ich, den Motor uns um die Ohren fliegen zu sehen, bei jedem Berg hoffte ich, dies möge der letzte sein - bis hinter der nächsten Serpentine die Shilouette der weiteren Gebirgszüge auftauchte und auf ihr das sich bergan und bergab schlängelnde silberne Band der in der Mittagshitze flirrenden Straße ...

Wie erschöpfend diese Fahrt war zeigt, dass wir keine Pause wagten, nur kurz einmal hielten wir um ein Sandwich einzuwerfen und aufzutanken - als würde die Eile der Hoffnung Nahrung geben ...

Aber wie es denn so ist - alles hat einmal ein Ende, sogar diese großartige, erschreckende Landschaft, in die der Mensch wohl besser nie einen Fuß gesetzt hätte. Selbst die anspruchsvollen Bauvorhaben, spinnwebartig wirkende Brücken über unglaubliche Täler wirken hier wie Spielzeug, dass ein unwirscher Ruckel der Bergrücken wieder zunichte machen kann. Zu Fuß ging es vielleicht gerade noch, so wie eine Ameise eben auch mir kaum mal ein müdes Zwinkern entlockt. Aber eine Ameisenstraße ...?!

Nun denn, wir haben es geschafft. Eben sitze ich an Portugals Küste, das Wetter ist mal wieder schlecht, es nieselt und alles ist mit Nebel avalonschen Ausmaßes verhangen. Es hat diesmal ein Weilchen gedauert, bis wir einen geeigneten Platz gefunden haben, denn der Ferientourismus holt uns langsam ein, die Plätze werden liebloser und ungepflegter, was eben so passiert, wenn der Mensch in Massen auftritt.

Hier stehen wir direkt inmitten von Dünen, hohe Pinien und Kiefern spenden Schatten und wir tragen Identifikationsmarken. Alles läßt sich eben meistens noch steigern. Aber der Galau (Milchkaffee) ist gut, Internet ist umsonst und funktioniert sogar und Alina hat endlich ein paar Kinder zum spielen gefunden. Gestern hatte sie ihren ersten Trauertag, wahrscheinlich ausgelöst durch soviel zusammen hocken mit uns unausstehlichen Erwachsenen. Das ist für Kinder einfach eine harte Dröhnung.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir uns unserem Ziel nähern. Noch knapp 600 km trennen uns von Tamera - und der Gewißheit, dass wir nicht auf Urlaubsreise sind, sondern an unserem neuen Zuhause angekommen werden. Vielleicht macht das bewußter, dass dieser Schritt fürs Erste keine Rückkehr kennt. Aber welche weiß schon, was komen wird, was hinter der nächsten Kurve, dem nächsten Hügel und jenseits der Straßengrenze liegt?!

Wir haben viel gesehen und erlebt und sind weit gekommen. 3500 km sind wir gefahren, einige Umwege und viele Kurven. Viel haben wir gesehen, wovon ich hier nur einen Bruchteil beschreiben kann. Da fehlen die drei Alten am Straßenrand, der Unterschied zwischen den Supermärkten, die über der Autobahn nistenden Störche und vieles mehr. Stoff für Geschichten und 1000 und eine Nacht ...

Jetzt halten wir noch ein bisschen inne, bevor es an die letzte Etappe geht. Und ich gehe jetzt ans Meer. Und hoffe, dass diese Reise der Gebirge - Vogesen, Massiv Central, Pyrennäen, Kordilleren, Sierra xxx, Altro du Duoro ... - keine weiteren Hürden für uns bereit hält. Aber was will eine schon ausrichten gegen die Bewegungen der Erde. Eben. Niente. Da hilft nur: Mitgehen.

In diesem Sinne: Grüße an alle, daheim und daheim, eure Astrid

Freitag, 18. Juni 2010

Pause

Reisen - das ist Losgehen um Anzukommen um Weiter zu gehen. Weiter als der Horizont, der eigene und der geografische, weiter als die eigenen Vorstellungen von weit und wie, weiter und über die Grenzen hinaus, die angenommenen und gedachten - um neue zu finden, die wieder "weiter" rufen und doch zum Innehalten zwingen: Nicht jede Grenze soll und will wirklich überschritten sein.

Um diesen sehr feinen Unterschied nicht zu "überschreiten" sondern wahr zu nehmen, dafür sind die Pausen da. Und die machen wir gerade und ausgiebig, mitten in einer der schönsten Landschaften Europas, der Ardeche, bei meiner Freundin Ana. Und als würde der Himmel still mit dem Anliegen des ausgesetzten Fortschreitens kooperieren, regnet es - immer noch und immer wieder - in Strömen. Also bleiben wir "daheim", genießen die Pause vom Umherziehen und Leben in einem Plastikkubus: Solider, viele hundert - ach, was sage ich - viele Millionen Jahre alter Stein umgibt uns, läßt noch einmal das wohlige Gefühl einer stabilden Behausung aufkommen und durchdringt uns mit den urlangsamen Schwingungen, die nur der Stein, älteste Bewohnerin dieses Planeten (Bewohnerin?)verströmen kann. Schenkt mir Festigkeit in einer Zeit, in der alles in Bewegung gesetzt ist.

Doch diese Ruhe hat auch ihren Preis: Nächtens bin ich von einem Alp nach dem anderen gedrückt, alle meine bekannten und unbekannten Ängste und Befürchtungen schwemmen an die bewußtslose-traumwache Oberfläche, wollen gesehen und ... tja, was, verstanden werden? Eingeordnet? Fortgeschwemmt?

Da verliere ich Alina im Wald und merke es nicht einmal. Als es mir dann "zu Bewußtsein kommt" ist da nur noch dieses vertraute Gefühl von: Der Moment, an dem ich das Schicksal hätte wenden können, ist vorbei. Und die Sehnsucht, ich möge die Zeit zurück drehen können, hinter und jenseits dieses "Ereignishorizonts", den ich da eben verpasst habe. Aber das ist jenseits meiner "Macht".

Da stürmen Häuser und Wohnungen auf mich ein, in denen ich gelebt habe, Personen und Geschichten, die ich lesend durchlebt habe, schlüpfe ich in die Rollen von Ritterinnen und Abenteurern, kämpfe gege sich ständig wandelnde Feinde und bin doch am Ende selber eine von ihnen. Die Grenzen sind weich und aufgeschwemmt, die das "Gute" vom "Bösen" trennen, die sichere Orientierung geben in einem Gelände, das so vertraut und doch so fremd ist.

Da schneit es im Juli von einem tiefschwarzen Himmel, während ich mit Freundinnen in die Vergangenheit fahre. Und mich verfolgt die Angst vor einer namenlosen Bedrohung, die sich langsam offenbart und unausweichlich ist ...

Nun, ich höre schon die Stimmen, inklusive meiner eigenen, besser-wisserischen, die da tonieren: Tja, wenn eine eine Reise tut, dann hat sie was zu tun. So, als sei es selbstverständlich, dass im Wegfallen des Vertrauten die geschmähten Urängste von Öffentlichkeit, Schutzlosigkeit und allerorten verorteter Bedrohung die Oberhand gewännen. So, als wäre das Leben eine Frage der Gleichgewichte von Einfluss und Auslieferung. Argumentationsketten des inneren Kettenhundes namnes Versicherrungsvertreter.

Aber klar doch: Ich habe mich entschieden für ein - vorübergehendes - nicht zurück. (Als könnte eine je zurück gehen!) Und ja, ich habe mich entschieden für eine vorübergehende Auf-Gabe (schon das Wort frohlockt in seinen Mehrdeutigkeiten!) Und ja: Ich habe Angst.

Mein seit 45-Jahren antrainiertes inneres Hausschwein hat sich gewöhnt an die Grenzen des Suhls, in dem es auf die tägliche Futterration, die Abfälle von Tisch der Menschen wartet. Ist doch eine wirklich artgerechte Haltung - oder?

Gestern regnete es dann endlich mal nicht mehr, auch die "wilden Wetter" (Marie-Luise)legten wohl mal eine Pause ein. So saß ich den halben Tag an der Beaume, auch eine dieser Flüsse hier, die noch ein echtes, über Millionen Jahre in den Fels gegrabenes Flußbett haben, umgeben von Steinwächterinnen im grünen Kleid der Mimosen, Kiefern und Eichen. Über mir segelten die Kraniche, Habichte und Mauersegler, meine Tochter saß im Wasser und legte leise singend Mosaike aus bunten Steinen, Wolfgang sprach mit den Bergen - und ich lauschte dem Flüstern der Wasser, die über Steine glitten und rauschten: Das "Weiche", welches mit dem "Harten" verbunden ist in einem endlosen Tanz entlang der Grenzen. Im Fließen das Steinerne mit sich tragen, verflüssigen, mit Licht und Luft durchsetzen udn andernorts wieder zu Gestade tragen, neue Massivitäten aufbauend, abtragend, fortschwemmend, anspülend ...

Wo ist die Grenze, wo alles so in Bewegung ist? Wo endet das eine, und wo kann das andere mit Fug und Maß behaupten, hier zu Hause zu sein? Nicht um die allerorten beschworene "Einheit" geht es mir hier, an die ich sowieso nicht glaube, weil sie ein Konzept ist, dass doch auch wieder das andere, das Uneine braucht ... nein, es ist das Spüren der Bedeutung von Bewegung, die ich dennoch noch nicht in Worte fassen kann ...

Nein, still ist es in mir noch nicht geworden. Meine Zellen platzen vor Energie, rasen, treiben an, weiter, vorwärts. Das gehört wohl dazu zum "über den Berg kommen". Anstrengend ist das, aber auch außerordentlich belebend, vor allem, da ich (noch) keine Ahnung habe, was hinter der Kuppel wohl auf uns wartet. Hier, im Land der Berge und Täler ist es dieser kleine Moment, kurz bevor du dich über die Anhöhe schiebst, da denkst du: Jetzt falle ich. Nur um zu spüren: Dahinter gehts zwar rasant den Berg hinab, aber die Gravitation hält dich am Boden.

Sie ist die Kraft der Anziehung, die aus der Bewegung geboren ist. Flüsse, Wolken, Wetter, Blut, Federflugkünste, Atem. Hinaus, hinein. Abschilfern und Anlagern. Im Reisen und Ruhen dazwischen nehme ich diese Bewegung wieder auf und werde durchgeschüttelt wie eine ins Wasser gestürzte Libelle. Nehme ein Bad. Komme zu Besinnung. Und versuche, den Grund zu erspüren.

Übermorgen geht es weiter - vorausgesetzt, wir bekommen den Wohnwagen jemals wieder frei. Aber gestern durften wir mit erleben, wie ein im weichen Asphalt der hiesigen Bergstraßen festgefahrener Schwertransporter mit Hilfe von ein paar Brettern, viel Gelächter und unermüdlichem Hin- und Her wieder flügge gemacht wurde. Die Löcher in der Straße wurden mit ein paar Kieseln vom Rand gefüllt, der ausgerissene Asphalt, weich wie Butter in der Mittagssonne, mit ein paar energischen Tritten festgetrampelt. Wozu reparieren, was beim nächsten Laster wieder auseinander fliegt? Resignation? Wohl eher Lebenstauglichkeit. Und die Erkenntnis: Gegen die Bewegungskräfte kannst du eh nicht anbauen. Es ist lediglich eine Frage der Zeit, wann der Fluss sich ins Steinbett gegraben hat.

Unser nächstes Ziel ist das Meer. Es wird uns eine Weile begleiten, bevor wir zurück in die Berge gehen, dann in die Pyrenäen. Wie gesagt: Steinhart und Wasserweich. Mit Pausen.

Sonntag, 13. Juni 2010

... und weg: Die Landpomeranze auf Reisen

Alors - es ist geschafft! Am Donnerstag, den 10. Juni 2010 um 11:30 Uhr verließen wir, schwer beladen mit Sack und Pack und allem, was wir so für unersetzlich im Leben erachten unseren Hof ... und kamen erst einmal genau 13 km weit: Ein Reifen unserer alten Dame Elsa Knaus, genannt "La Mustang" war platt und sie schaukelte wie ein Kutter bei Windstärke 25. Aber was für ein Glück, dass uns freundliche Tankwärterinnen gleich darauf aufmerksam machten (nicht ohne ein verstohlenes Grinsen ob unserer altersstarken Gefährte) und die Reifenreparatur erst 5 km hinter uns lag. Also Retour!

So kam ich in den genuß, das allererste Mal (von inzwischen einigen!) unser 12 m Doppelgefährt rückwärts (!!) in eine Ausfahrt zu steuern. Ich kann euch sagen: Schönste menopausale Hitzewellen sind nichts gegen die Anwallungen, die mir diese Herausforderung beschert hat! Aber: Ich habe es geschafft, nach dem ich erst mal verstehen musste: Bei einem solchen Gefährt geht alles anders herum! Wollte ich nicht raus aus dem Trott?!

Die Monteure waren die ersten Menschen, die uns auf dieser reise begegneten, und sie waren derart freundlich und hilfsbereit, dass wir es als gutes Omen für diese Reise aufnahmen. Für 13,25 Euro repariereten sie unseren nun nicht mehr platten Reifen nebst Aufbockkurbel, die gleich schon beim Start aus der Fassung gesprungen war (ich sag ja, alles Omen!)und schickten uns mit guten Wünschen um 13 Uhr zurück auf die Piste.

Der ertse Tag brachte uns bis knapp über die französische Grenze: 250 km bei Spitzengeschwindigkeit 80 km/h. Jede Steigung verrringerte unsere Reisegeschwindigkeit auf 40 km/h, so dass wir in den Genuß außerordentlicher Hupkonzerte und Aufwind-schwingende LKW-Überholmanöver kamen. Und wie gesagt, da ich die erste Etappe fuhr, verlor ich sicherlich so an die 14 l Wasser - allerdings aufgepeppt mit 200ml Adrenalin pro Kubikmilliliter. Weil Elsa jedesmal bedrohlich schwankte, wenn wieder einmal so ein König der Straße an uns vorbeirauschte, entschieden wir uns kurzerhand für die Bundes- bzw. Landstraße. Da sind 80 km/h zwar auch noch nicht die Welt, aber es fährt sich doch wesentlich entspannter. Und Berta Benz, die ja schließlich alles ziehen muß, dankte es uns mit gemütlich zuckelndem Tempo.

Dabei konnte ich feststellen, dass es wesentlich mesnchengemäßer ist, so langsam zu reisen. Nicht nur, dass einEr die Landschaft und ihre Veränderungen um einEn herum vierl besser wahrnehmen kann, es fällt auch leichter, innerlich den äußeren Veränderungen hinter her zu kommen. Eine wesentliche Erkenntnis für mich, die ich es ja gewohnt bin, die Dinge im Überschalltempo zu tun - und vor allem hinter mich zu bringen.

Vor Nyon fanden wir einen hübschen Campingplatz - und verbrachten unsere erste Nacht im Wohnwagen. Dank Unwetter und Dauerregen ein echtes akustisches Erlebnis: Wie tausende kleine Nagetierfüße prasselte der Dauerregen auf uns herab - ich bin mir nicht sicher, ob es schließlich die akustische Ermüdung oder die Strapazen des ersten reisetages waren, die mich in einen unruhigen und traumreichen Schlaf sinken ließen ...

Doch am nächsten Morgen strahlte die Welt in reinstem Licht, die Sonne schien und ich trank meinen ersten, selbstfabrizierten Latte Macciato vom Wohnwagenherd, der Göttin-sei-Dank nicht explodierte (auch die Gasflasche stammt sicherlich aus den späten 70ern!). Und zum ersten Mal überkam mich tatsächlich so ein winzig-kleines Freiheitsgefühl, ein "Endlich-geschafft" und auch ein: eigentlich könnte ich immer so weiter fahren und mir die Welt anschauen. Es ist schon eigenartig, wenn du dein ganzes Leben in einem Caravan hinter dir her ziehts - und es eigentlich gerade keinen Ort gibt, an den du zurück könntest. Doch was mir in den letzten Tagen zu Hause fast schon ein bisschen bedrohlich erschien - in dem Moment, wo der ultimativ erste Schritt getan ist, verändert sich dieses "Zu-Hause-Gefühl" sofort. Es geht mit auf Reisen - und stellt sich da ein, wo einEr gerade ist.

Der zweite Tag war zum Glück ein wenig unspektakulärer - keine Rückwärtsfahrten, dafür ein schattiger Rastplatz am See mit mittäglichem Bad, einer kleinen Cafeteria im Ort und einem witzigen Kellner, der Wolfgang die begehrte Esspressotasse aus der Tür hinterherwarf. Hintergrund: Wolfgang wollte unbedingt diese Espressotasse erwerben, doch auf meine Nachfrage gab der Kellner zu verstehen, er habe nicht mehr genug, weil er sie immer "fallen ließe". Also ließ er die Tasse mal kurz "aus der Tür fallen" - und Wolfgang bekam sie geschenkt. Eine wirklich originelle Lösung für ein kompliziertes Problem!

Kaum hatte ich das Lenkrad wieder übernommen (Wolfgang war den Tag übe rgefahren und hatte damit seine Tauffahrt hinter sich gebracht ...) und knapp, nach dem wir entschieden hatten, jetzt sei es genug gefahren, wurden die französischen Sträßchen wieder enger und vor allem - steiler! Ein Eegweiser zu einem Campingplatz führte uns über einen Waldweg hinein ins Gebirge - und dreimal dürft ihr raten, was augenblicklich mit meiner Transpiration geschah. Vor allem: Weit und breit kein Platz, um ein 12m-Gefährt (alles in allem) zu wenden. Also - auch hier setzte wieder die tiefgründige Erkenntnis raumgreifend ein - wenn es keinen Weg zurück gibt, mußt du weiter gehn. Gesagt, getan. Und es wurde steiler und steiler. Doch als ich schon dachte: So, das wars, jetzt hängen wir fest, legte sich Berta noch einmal ins Zeug und zog sich, uns und Elsa auf die Bergkuppe - und hinein oder besser hinauf auf einen wunderschönen Platz mit mongolischen Jurten (leider schon alle vermietet), Wald und einer Luft, so sauber wie ... na, eben sauber sein kann.

Wir schliefen in dieser Nacht - wieder begleitet von Dauerregen - wie die Steine. Ich träumte Steinträume und hatte überhaupt das Gefühl, das der massive Fels unter mir mich irgendwie wieder zuu mir und auf den Boden brachte. Hier hätte ich noch Tage bleiben können.

Aber der Vorwärtsdrang ist noch nicht von uns abgefallen, dass wird wohl noch ein bisschen dauern. Das Getriebe, das mich durch die letzten Monate gebracht hat braucht noch Zeit, um auszulaufen, also fuhren wir zurück auf die Straße, die jetzt endlich einmal schnurgerade und vor allem eben vor uns lag. Berta lief zur Höchstform auf und brachte 100 km/h zu stande, was uns wohl ans Meer getragen hätte, wären die Franzosen nicht so verliebt in Kreisel. Kreisel rein, Kreisel raus, 200 m fahren, wieder kreiseln. Und das mit einem 6m Wendekreis und einer Beschleunigung von 0 auf 20 km/h in 30 min. ... Nun ja, es geht ja um Verlangsamung ...

Und diesmal durfte ich verstehen - oder besser gesagt - er-fahren - was es bedeutet, ein Ziel zu haben. Hatten wir die voran gegangenen Tage immer in gutem Kontakt mit unserer körperlichen Verfassung und den Informationen der inneren stimme entschieden, wann es genug war - so entflammte plötzlich der Ehrgeiz. Ach, "nur" noch 77 km, das schaffen wir - und vergaßen, dass wir schon 250 km gefahren waren, Berta glühte und ich eigentlich reif für einen Latte und mein Tagebuch war. Aber der Mesnch ist eben vergeßlich, also fuhren wir weiter - mittern hinein in die nächste kosmische Lehrstunde die da hieß: Wozu nur ein Straßenschild machen, wenn man drei haben kann. Dass allerdings eben jenes dritte wieder hianuf auf die Berge und hinein in eine unbeschilderte Pampa führen würde - who cares! Führen doch alle Wege einmal nach Rom.

Doch nein, dieses nicht, sondern mitten hinein in ein samstag-nachmittäglich alles andere als verschlafenes kleinfranzösisches Dorfnest mit einem Verkehr, der tatsächlich an Rom erinnerte. Nur blöd, dass mich plöztzlich, mitten im Dorf die Erkenntnis überfraute, dass wir uns heillos verfahren hatten. Und jener fatale Mechanismus einstetzte, den alle langjährigen AutofahrerInnen kennen: Ehe ich mcihs versah, hatte ich links eingebogen, um zu wenden. Auf einer Straße, die knapp 20 m breit war. Luxeriös unter normalen Umstaänden - fatal mit 12 m Gesamtlänge. Ergo: Wir saßen fest. Was natürlich in genervten Schreiereien und gegenseitigen Schuldzuweisungen mündete. Doch scheints, war diese Reise ersonnen, um mich das Rückwärtsfahren andersherum zu lernen. Wolfgang hielt den Verkehr an, der hielt tatsächlich still - und ich wendete in filigraner Kleinstarbeit und binnen 30 min. tatsächlich unseren Wagen samt Anhang. Für irgend etwas muß das jahrelange Einfädeln von Fäden in engmaschige Nadeln doch gut gewesen sein.

Aber das Abenteuer war noch nicht zu ende. Zwar erreichten wir unser Ziel an der Ardeche - doch galt es noch zu erkunden, dass Campingplatz nicht gleich Campingplatz ist: Währrend die einen mit 500m Wendeschleifen udn halben Autobahnen durchs Gelände aufwarten, sind die anderen Übungsparcours für Feinfädler. Ja, ihr habt richtig gelesen. Und welchEn traf es wohl wieder ? Bingo!

Aber diesmal scheiterte auch ich. Und zwar an unserem Wohnwagennachbarn, der partout der Ansicht war, der schon zweimal umgesetzte Wohnwagen müsse noch einmal gewendet werden, damit die Tür auf der richtigen (!) Seite sei. In rasendem Französisch, geprägt vom Couleur tief empfundener Autorität wies er mich an, noch einmal das sehr übersichtliche Gelände zu umrunden um von der anderen Seite kommend die richtige (!) Seite zu wählen. Tja, da war sie wieder, die frühkindliche Prägung, erworben in jahrelangem Frontalunterricht: Wenn einer nur mit ausreichend Vehemenz auf dem "richtig" beharrt, dann folgen alle wie die Schafe. In diesem Falle auch ich - nur, um sofort und unmittelbar zwischen zwei Bäumen fest zu hängen. Da ging nichts mehr - und ich weiß nicht, ob mir hier meine Näharbeiten wirklich hilfreich gewesen wären. Aber zum Glück gibt es patente Franzosen, die zwar für gewöhnlich alle durcheinander schreien - "Vorwärts!"; "Nein, rückwärts!"; "Wie, rückwärts? Bist du denn blind, du eingeborener Wurm eines faulenden Apfels, wenn sie rückwärts fährt, dann ..."; "HAAAAAlt!"; "Oje, jetzt hängt sie fest, siehst du, wäre sie doch rück..." und so weiter, und so fort - also, sich eben übernieten an akustischem, in den Wahnsinn treibenden Anweisungen, aber eben im schlimmsten Falle einen Nachbarn mit Traktor haben, der dann kurzerhand Elsa auf den Berg zog, auf dem sie jetzt steht. Ob ich sie allerdings da jemals wieder runter kriege ... nunja, da gibt es betsimmt wieder einen Nachbarn.

Ich jedenfalls sitze inzwischen bei meiner Freundin Ana am Pool, genieße Strom und vor allem den Kühlschrank (geschmolzener Joghurt ist wirklich nur was für FeinschmeckerInnen!) und das unvergleichliche Gefühl, losgegangen, schon viel erlebt und vor allem schon viel gelernt zu haben. Jetzt gilt es erst einmal, wieder ein bisschen runter zu kommen. Langsamer zu werden, gedanklich und vor allem gefühlt. Damit ich da bin, wo ich bin.

Und die hilfreichen Geister uns weiter führen und geleiten können. Alles eine Frage der Nicht-Einmischung. Aber die will eben auch gelernt sein. Venceremos!