Montag, 21. November 2011

Schweigen im Blogwald



Schon wieder einmal November. Schon wieder einmal ein Jahr fast vorbei. Schon wieder einmal wochenlang kein Sterbenswörtchen - Schweigen hier und Stille im Blog.

Es gibt eine lebendige weibliche Tagebuchkultur, die sich wie ein roter Faden vom hier und heute in die Vergangenheit schreibender Frauen zieht. Virginia Woolf. Silvia Plath. Susan Sontag. Ganz unterschiedliche Welten, ganz unterschiedliche Lebens- und Schreibstile und doch der allem gemeinsame Wunsch, dem Alltag den Spiegel vorzuhalten, die eigene Seele zwischen Kindern und Küche, Teestunden und Treffen, Wollen und Wunsch aufzufinden. Welche bin ich unter all den vielen, welche Bedeutung hat das, was sich steig wiederholt - und wohin steuert das Schiff - und überhaupt: steuert?

Diese Tagebücher waren und wahrten Geheimnisse. Profanes, was eine nicht ans Tageslicht gezerrt haben wollte. Ganz Intimes, Eigenes, Unausgegorenes und oftmals schamhaft Wahres. Kein Wunder, dass manche der Tagebuchschreiberinnen ihr Innerstes, das da schonungslos offen gelegt wurde für viele Jahre auch nach dem eigenen Tod geschützt haben wollten. Nicht immer ging dieser Wunsch in Erfüllung. Und nicht selten war dieser Wunsch nach Verborgenheit paradox verbunden mit einem sehnsüchtigen Exhibitionismus. Ein Glück. Für mich jedenfalls, denn die eigentlich nur für sich selbst niedergeschriebenen Zeugnisse eines ganz normalen Lebens auch der allergenialsten Dichterin runden deren Bilder erst ab, machen sie vollständig. Oder zeigen, was der vollkommenheitssüchtige öffentliche Blick lieber nicht gesehen haben wollte.

Heute sind die ledergebundenen Hefte, die klecksenden Füllfederhalter, Schnellhefter und Plastikkugelschreiber abgelöst von Bildschirm und Tastatur. Und statt nummernschloßgesichertem Tagebuch schreiben wir Blog. Öffentlich. Das, was früher gut und gerne mal 50 Jahre und mehr ruhen konnte um die Patina der Reife anzusetzen ist heute gleichzeitig innen - und schon draußen. Schon in der Welt, bevor ich es noch fertig ausgebrütet habe.

Zugegeben, ich liebe es, die Blogs meiner Freundinnen zu lesen, Marie-Luise Stiawa, Cambra Skadé und Salamandra, den Blog von Luisa Francia lese ich nahe zu täglich, sofern mich hier in der portugiesischen Pampa das Internet nicht im Stich lässt. An ihren Gedanken, ihrem magischen Alltag teilzunehmen verbindet mich ein Stück weit mit der Welt, in der sie leben. Ihre Texte sind die Fäden meines Netzes, das sich durch ganz Europa spannt. So kann ich in meinem abgeschiedenen Tal sitzen und doch ganz intim wissen, was diese Frauen an- und umtreibt. Telepathisch unbegabt, nutzen wir die virtuelle Welt, um gemeinsam zu tanzen.

Und doch gibt es da dieses Unbehagen. Nicht wegen der angeblich fehlenden Intimsphäre. Erstens entscheide ich ja selbst, was ich hier veröffentliche - und zweitens gibt es dieses „Private“ gar nicht wirklich. Nicht, weil wir eh schon „ausgespitzelte“ Nummerncodes sind bevor wir überhaupt unser Handy angeschaltet, unsere EC-Karte verwendet oder einen Flug gebucht haben. Nein, ich persönlich bin immer mehr davon überzeugt, dass das, was wir unsere eigenen, geheimsten Gedanken und Identitäten nennen tagtäglich mit Millionen anderer Wesen teilen. Nichts in und an uns ist singulär. Das macht ja auch die eigentliche Kraft des Schreibens und Veräußerns aus: Das andere sich darin wieder erkennen.

Nein, mein Problem ist eher die Geschwindigkeit. Oder der Zwang zur kontinuierlichen Aktualität. „The power of now“ - dieser etwas abgegriffene Slogan eines New-Age-Bestsellers könnte auch über den Blogwäldern des Internet stehen. Jetzt. Gleich. Und sofort. Gestern ist Asche, Morgen eine neue Sensation.
Seit ich hier in Portugal lebe, bin ich deutlich langsamer geworden. Und bin doch häufig immer noch zu schnell. Mein Hirn arbeitet immer noch auf Hochtouren beim etwas müßigen Versuch, alles zu er- und begreifen, einzuordnen, zu analysieren und zu verstehen. Dabei: Was gibt es eigentlich „zu verstehen“?

Was ich hier erlebe ist der Wechsel eines Paradigmas: Vom „Sein“ zum „Mit-Sein“. „Mittendrin-Sein“, ununterschieden einzufließen und gewahr werden der eigenen Schwingungsmuster. Ein Prozess, der sich weit vor der Versprachlichung vollzieht.

Vielleicht fällt mir deshalb so schwer zu berichten, was sich so alles im Außen vollzieht. Nicht wenig: Neues gewagt, am Alten hängen geblieben, Muster erkannt, Veränderbarkeit geprüft und festgestellt, dass es etwas gibt, das bleiben will, nicht weichen. Einen Weg gefunden das Eigene neu zu tragen und zu gestalten. Unfraglicher jetzt, nachdem es ganz und gar in Frage gestellt wurde. Nachdem ich mich ganz ins Leben geworfen habe, hat das Leben mir eine Lektion erteilt und eine neue Sicherheit geschenkt. Jetzt weiß ich mehr. Und der nächste Durchlauf beginnt. In anderen Worten? Hat es schon immer Menschen gegeben, die am Rande von menschlichen Gemeinschaften gelebt haben. Die Hagazussen, die, die jenseits des Schutzwalls lebten, den Menschen in der Regel um ihre Siedlungen herum anlegen. Die vom wilden Wald, die sich in Wölfe mit großen Ohren und großen Mäulern verwandeln und junge Mädchen fressen. Die in Bäumen wohnen und Rätsel aufgeben. Zu denen man geht, wenn keiner mehr Rat weiß. Wo es Steinsuppe zu essen und Federbetten aufzuschütteln gibt. Das ist meine Gemeinschaft, die ich im Sternzeichen der Schwellenhüterin geboren bin. Wie die Gemeinschaft der Frauen im Internet, die jeden Tag der Informationsflut dieses Massenmediums ihre eigene Stimme entgegenstellen, unbeirrbar darauf beharrend, das es eine sehr persönliche Wahrheit gibt, die in uns allen wohnt.

Wie, ein Widerspruch? Hatte ich nicht weiter oben gesagt ...?! Aber klar doch. Könnte eine denn wirklich noch annehmen, dass wahre Leben sei ohne Widersprüche? Meine Erfahrung ist: Es ist immer alles gleichzeitig da. Und das ist wohl auch gut so. Also stelle ich mein Schweigen ins Internet. Und schreibe wieder heimlich in mein Buch, mein Zauberbuch, mein Buch der sieben Siegel, Pandorras Büchse ... all das, was ich nur zu mir selber sprechen kann.