Freitag, 27. August 2010

Fremdsprache

Eigentlich ist es für eine Nordeuropäerin ja doch irgendwie schier unvorstellbar, dass der Sommer wirklich ein Sommer ist und ungebrochen über Wochen, ja Monate hinweg anhalten kann.
Hier, am südwestlichsten Zipfel Europas ist der Sommer der Durchschnittszustand. Und immer, wenn einEr denkt: So, jetzt wird es kühler - weil eine Nacht mal taufeucht erwacht und ein paar Wolkenfelder über den ansonsten azurblauen Himmel ziehen - dann holt der Sommer nur noch einmal tiefer Luft und erhöht die Thermostattemperatur erneut um einige Millimeter. Nie hätte ich gedacht, dass ich 49°C im Schatten mal "angenehm" finden könnte. Nun ja, alles ist ja bekanntlich relativ.

Wirklich demütig hier machen mich aber die Pflanzen. Sie können ja nicht "mal eben" in den Schatten ausweichen, wenn die Sonne mittäglich alles zu Suppe zerkocht. Aber sie haben ihre Strategien gefunden - sich zum Beispiel gegenseitig Schatten zu spenden. So genannten "Verdrängungswettbewerb" gibt es hier nicht wirklich - warum auch, das Land ist im wesentlichen und unermesslich leer. Statt dessen rücken die Damen und Herren Fenchel, Zistrose, Labkraut und was sonst noch kreucht näher zusammen, halten das Tauwasser fest bis in den späten Vormittag - und schützen sich vor Trampeltieren durch undurchdringliches Dickicht, um das alles einen weiten Bogen macht. Ganz zu schweigen vom gemeinsam gebildeten Schattendach: Beschattest du mich, beschatte ich dich. Ein echtes Lehrstück in Gemeinschaftsbildung.

MenschIn könnte ja meinen, ein solch Sonnengeflutetes Land wäre um die Hochsommerzeit dann ein Meer von Asche. Nun, es überwiegen die Erdfarben, keine Frage. Umbra und Ocker in allen denk- und bildbaren Schattierungen, manchmal von solcher Tiefe, dass es aussieht, als blute das Land aus einer unstillbaren Wunde. Gelegentlich von solcher Luftigkeit, dass eine glauben könnte, der Horizont neige sich dem Himmel entgegen, startbereit für einen Flug auf allgegenwärtigen Staubflügeln. Doch dann fällt die Sonne ins Meer und übergießt alles und jedEn mit einem Licht der Schönheit, rot wird alles und leuchtend von Innen. Und die Bäume glitzern in unzähligen Grüntönen, Silber-, Grau- und Schwarzwaldgrün, der ewige Frühling der Platanen, das flüsternde Grün der Weiden und Erlen, die mit ihren Fingerzweigen über die wenigen und unergründlichen Wasserflächen streichen, das Hustenbonbonfarbene Grün des duftenden Eukalyptus und ihr besänftigender Konterpart, das stille Grün der Kork- und Steineichen. Grüner als alle mitteleuropäischen Sommergrüns ist dieses Grün des Südens, vielleicht, weil es nicht so allgegenwärtig, soviel kostbarer ist und meist nur dort zu finden, wo auch das Wasser wohnt, verborgen und eine seltene Schönheit. Und dazwischen, wie hingeworfene Schriftzeichen einer untergegangenen Sprache, die schwarzen und grauen, violetten Baum-Ahnen, ohne Blätter und wie ohne Leben doch lebendiger Teil der Landschaft, schwarze Gravuren und Geschichtenrauner, leiser Griff in die Seele.

Staubtrocken ist dieses Land und doch jede Nacht klatschnass. Die Häuser sind niedrig und blau und gelb umrandet, gegen den "bösen Blick" sagt man und einEr fragt sich, ob dieser von Innen oder von Aussen kommt. Die Menschen sind klein und stolz auf eine seltsam weiche Art und Weise, unaufdringlich doch schwer zu übersehen. Vielleicht, weil es von ihnen nicht so viele gibt.

Und drumherum das unergründliche Meer, Königinnen-Blau, flüssiges Lapislazuli an einem zugewandten Tag. Voller Gischtherden, stahlgrau und bleischwer zur anderen Zeit, ein sicheres Zeichen, dass die große Herrscherin heute ungestört ihren eigenen Tiefen lauschen will. Wie die anderen Meeresbewohnerinnen habe ich inzwischen - zumindest im Ansatz - gelernt, ihren unausgesprochenen Worten Gehör zu schenken, an ihren Gestaden zu verweilen und mich beschenken zu lassen von ausgewaschenen Skeletten und handschmeichelnden Steinen, die zu hunderten inzwischen meinen Caravan bevölkern. Und jeder Besuch ist eine Audienz, aus der ich gestillt hervorgehe, meine Kleider zu trocknen im Sommerwind.

Eine Fremde bin ich hier mit meinem weizenblonden Haar, den Augen aus geborstenen Himmeln und der milchweissen Haut, die dennoch schon einen dauerhaften Latte Macchiato-Schimmer hat. Wie eine exotische Pflanze rage ich mit meiner Körpergröße aus den heimischen Gewächsen heraus, die noch nicht wissen, ob sie mir Zuflucht gewähren werden. Und ich spreche in fremden Zungen, bin mir selber unbehaust und muss mich immer noch einrichten in der Unbewohnbarkeit. Aber ich liebe schon einmal, und dass ist das Beste von allem.

Demütig macht mich das, nicht klein, plötzlich und unerwartet zu wissen, wie das ist, Einwanderin zu sein, Migrantin. An die Menschen aus der Fremde in Deutschland muss ich denken, und wie selbstverständlich dass einEr sein kann, wie ungefühlt, wenn einEr ganz ungefragt da herkommt, wo sie sich befindet. Und wie anders das wird, wenn einEr denn Standort wechselt. Wie schwer es wird, das Eigene in eine fremde Sprache zu gießen, weil es da den Schatz der Muttersprache gibt, die dem Sein und Gefühlten erst Bedeutung und Substanz verleiht. Inneres Erstummen ist eben nicht "Silence", Verunsicherung nicht "Confusao". Erst als Eintritt-Begehrende wird mir deutlich, wievielt Zu-Wendung es braucht, um das Fremde zum Eigenen zu machen und das Eigene zur Verhandlung zu stellen. Zeit für eine Weltsprache, ein Esperanto, die vielleicht zusammen trägt, was das Beste aus allen Welten ist …

Mittwoch, 11. August 2010

Schmelzen.

Ja, ja, die Zeit geht dahin. Rast. Fällt. Schleicht. Keine Ahnung, wohin. Vielleicht da, hinter den Hügel, über den Berg, fällt in ein Loch, stürzt sich in den universellen Abgrund, schleudert sich um sich selbst um am anderen Ende wieder hervor zu kriechen, schneckengleich, echsengeschwind, langsam blitzesschnelle ...

Die Welt rollt um sich selbst und ab und an treffe ich auf ein Stückchen. Da erreichen mich Bilder aus der Toskana vom Frauentreffen und ich denke: Da sieht es aus wie hier. Irgendwo gibt es ein brennendes, atomverseuchtes Land. Und in Deutschland regnet es ...

Hier nicht. Die Augusthitze hat alles zerschmolzen, die Bewegungen werden langsamer und langsamer und erstarren schließlich in einem leisen Fliessen. Fliegen sind die einzigen Motoren, deren Gebrumm unsagbar laut durch die mittägliche Stille hallt. Und die Erde knackt im Anstrum der Photonen. Ansonsten - geschieht hier eben nichts von dem, was sonst so geschieht, da, wo das Geschehen sich niedergelassen hat. Sommer eben. Stillstandzeit wie andernorts im Winter.

Die Menschen haben so ihre Mühe damit. Irgend etwas muss doch passieren. Nun gut, dann bauen wir halt den Solarturm - solange, bis der erste mit Hitzschlag von der Leiter fällt. Oder hacken den Weg - bis an die Grenze des ermüdeten Metalls, das plötzlich zu weich wird um sich noch unbeschadet in den Schieferboden zu bohren. Zorn kommt auf und Ärger über soviel Widerstand der Materie. Und Alina fragt mich: Wer hat eigentlich den Krieg erfunden? Und ich denke: Wahrscheinlich welche, die sich im Sommer gelangweilt und geärgert haben ...

Ich verstehe, es ist schwer zu ertragen, dieses an-dauernde "Urlaubsgefühl". Natürlich gibt es viele Dinge zu tun und die Not-Wendigkeiten scheinen augensichtlich. Aber es geht halt nicht wirklich, der Süden widersteht dieser aufdringlichen Weltgestalterei und ist sich selbst genug. Und wir Menschen - können nur zu Erde schmelzen oder am Schlaganfall krepieren, mehr Varianten gibt es hier nicht. Gefällt mir, auch wenn ich mich selbt hin und wieder ganz "nutz-los" fühle. Aber das wird schon werden. Spätestens, wenn der erste Regen kommt ....

Und ansonsten - habe ich ein Haus gemietet - für den sogenannten Winter. Und dabei festgestellt, dass ich das Bild dieses Hauses schon lange in mir trage. Jetzt ist es Wirklichkeit geworden. Gerade klein genug, um nicht aufdringlich zu sein. Gerade renoviert genug, um nicht in ein neues Arbeitsprojekt auszuarten. Gerade weit weg genug um mir Freiraum zu geben hier im Potpourri der menschlcihen Gemeinschaftspsyche. Und gerade nah genug, um zu Laufen. Genau mein Maß, sozusagen. Ab September. Wenn ich bis dahin in eine neue Form zerlaufen bin ...

Montag, 2. August 2010

Pflanzenzeit. Sommerzeit. Zeitlos.

Nur noch wenige Tage und wir sind dann bald schon 6 Wochen hier. Und langsam spüre ich das Ankommen kommen …
Nach den hektischen ersten Tagen mit viel Herum-Gerenne in arger Hitze um all die Dinge zu tun, die eine so zu tun gedenkt - Schattendächer bauen, Tische kaufen, Platten, Krüge, Schuhe, Hüte …. kaufen, ans Meer fahren, in die Berge, diesen schönen Platz und jenen Menschen treffen - schleicht sich nun doch so langsam die Langsamkeit in meine Glieder. Schlafen. Schlafen und Essen. Und wieder schlafen. Musik hören. Dem nächtlichen Grillenkonzert lauschen. Und den Gesängen des Bodens … und immer mehr und noch mehr Lauschen: Dem Wind in den Olivenhainen. Dem Knistern der glühenden Erde, wenn die Lehmschicht in der Mittagshitze birst. Dem morgendlichen Schmatzen, wenn die vom Tau noch feuchten Gräser eingesogen werden vom Durst des Landes … Und ab und an am Computer sitzen, nicht all zu häufig - und hast du nicht gesehen hat dich eine Spinne in ihr Netz eingesponnen, wo du eben mit einer Freundin im weltweiten über Vernetzung philosophiertest …

Zum Pinkeln gehe ich fünf Schritte vor die Tür - keine Verschwendung von Trinkwasser mehr für die Entsorgung von Körperflüssigkeiten. Cremes und Lotionen sind im Korb unter dem Bett verschwunden - da ich mich sowieso nur noch recht selten mit Wasser benetze, um mich zu waschen sind sie überflüssig geworden. Meine Haut- und Körperfette haben diese Arbeit wieder aufgenommen. Ich rieche nach Meerwasser, Schweiss und Wind - und meine jahrelang von Neurodermitis geplagte Haut kommt völlig zur Ruhe, findet ins Gleichgewicht ganz ohne Mittelchen und Kuren. Weniger ist halt doch erstaunlich oft mehr.

Ich wohne draussen, bald 20 Stunden unter freiem Himmel. Ich esse hier, schlafe hier, schreibe, denke, liebe hier. Fast alle Habseligkeiten stehen Draussen, der Sonne, dem Wind und den MitbewohnerInnen ausgesetzt, die ihre Spuren ganz selbstverständlich hinterlassen. Spinnennetze im Wasserkrug, Ameisenaufläufe in den Aquarellfarben und die Spuren einer nächtlichen Besucherin auf dem noch feuchten Bild im Tagebuch … Ich fühle mich nicht ausgesetzt, sondern hineingenommen und bin ganz berührt von so viel freundschaftlicher Platzmacherei für mich Riesin mit Wagen. Immerhin ist hier - wie eben überall - jedes Fleckchen Erde von vielen Völkern bewohnt. Die, so scheint es, mit Assimilation und Zuwanderung keine Probleme haben. Statt dessen meine überflüssig gewordenen Unterhosen zum Nestbau verwenden. Recycling für die Schutzzonen des spätkapitalistischen Neo-Patriarchats.

Wir Menschinnen und Menschen hier tun uns da schon schwerer mit dem Zueinander-Kommen, Aufnehmen und Freiraum schaffen für Ungewohntes und Neues. Starre Tierchen sind wir, die oft nicht einmal mehr wissen, wie und wo es zu dieser Halsstarrigkeit gekommen ist. Meins. Deins. So, wie ich eben bin. Und nicht eben so wie du. Da werden Diskussionen und Aus-Einander-Setzungen notwendig, obwohl der Wunsch doch Zusammenkommen ist. Da müssen Grenzen begangen, ausgelotet und abgesteckt werden, bevor der erste Abriss beginnen kann. Da muss meines erst zu mir finden, damit ich dir das deine lassen kann.

Aber so ist es eben mit uns Menschinnen und Menschen, jüngstes Hervorspringsel einer lustvoll schöpferischen Gestaltung. Ein bisschen wackelig noch auf unseren Beinen staksen wir durch ein Meer Jahrmillionen alter Steine die schon längst hinüber gegangen sind ins Land der äusserst beweglichen Bordüren. Tanz, ja. Bewegung, ja. Fluss auch. Ornamentalik der Begegnungen, aber kein entweder. Oder.

So arbeiten wir uns hier gemeinsam zu Zwanzigst durch die Häute der menschheitlichen Frühpubertät. Und stossen auf erstaunliche Erkenntnisse. Frauen. Und Männer. Felder, die einander berühren. Hervorbringen. Stärken, wenn sie in sich selbst schwingen, schwächen, wenn sie nur auf die Aufnahme äusserer Impulse ausgerichtet sind. Und natürlich, der Schmerz des Geboren Werdens. Des Hervor-Gebrachten und Gebracht Werdens. Die Magie der Häute, die es abzustreifen gilt, damit das alte Neubekannte sein Gesicht zeigen kann, Maske des allzu Menschlichen.

Und ich werde weiter zur Pflanze. Atme Sonnenlicht und lagere die Süße des Seins in meine Zellen.