Dienstag, 13. April 2010

Leben auf Pump oder woher nehmen, wenn nicht stehlen

Am vergangenen Sonntag Abend gab es einen merkwürdigen Tatort zu sehen: Der bundesdeutsche Befindlichkeitskrimi beschäftigte sich mit dem Zusammenbruch unseres Kreditsystems. Oder genauer formuliert: Was passiert eigentlich mit den Menschen, wenn das Leben auf Pump zurück-pumpt?!

Was eine interessante Frage hätte werden können geht im Tatort sprichwörtlich unter: Da hecken drei, denen ein perfides Profitsystem die Kredite für das hübsche Reihenhäuschen samt Inventar und fahrbarem Untersatz unterm Arsch weg verkauft einen eigentlich wasserdichten Coup aus - und enden als Witzfiguren, die nicht einsehen wollen, dass sie als jämmerliche Bittsteller zu fressen und zu schweigen haben. Und bundesdeutsch tapfer ihr Schicksal anzunehmen und ihr Los abzuarbeiten haben. Das macht man so, wenn man anständig ist. Und der Einzige, der offenen Auges erkennt, was da tatsächlich von Statten geht ist ein unverbesserlicherer "Westentaschen-Revoluzzer" der im Wohnwagen lebt und seinen "funkenden" Tumor im Kopf mit Pornos und Karl-Marx füttert.

Eigentlich bin ich ja ein Fan des "Tatort". Aber seit Sonntag überlege ich doch stark, ob die regelmässig vor dem Fernseher abgesessenen 1 3/4 Stunden nicht völlig aus dem Fenster geworfene Investitionen sind. Wie das schon seit Längerem aufgegebene Zeitungslesen etwa ...

Tatsächlich hätte ich nicht gedacht, dass sich die Macher dieser Serie derart hemmungslos auf die Seite derjenigen stellen würden, die uns allen derzeit zu verstehen geben wollen: Jetzt muss der Gürtel enger geschnallt werden, ihr habt jahrzehntelang über eure Verhältnisse gelebt, nun müssen die Konsequenzen mit Härte umgesetzt werden. Das tut uns leid, ist aber leider unumgänglich. Und weil Spähne fallen, wo gehobelt wird - wird das Ganze wohl nicht ohne Opfer abgehen. Nun ja, neoliberales Gesetz Nr. 7: Shit happens!

Was sicherlich eine völlig richtige Analyse ist. Wenn man den Bezugsrahmen entscheidend erweitert. Was aber nichts anderes ist als das alte "Wir prassen, ihr bezahlt die Rechnung", wenn man so denkt wie die Tatortisten.

Denn wieso wundert sich eigentlich niemand darüber, dass es anscheinend völlig in Ordnung ist, wenn unsichere Kredite zusammen brechen, Menschen ihren Job und ihre Häuser verlieren und hoch verschuldet bis an ihr Lebensende Geld in ein System abpumpen dürfen, das ihnen doch all die wunderbaren Segnungen des modernen Lifestyle erst nahe gebracht hat?!
Und andererseits Millarden locker gemacht werden (woher denn eigentlich?) um ein marodes Bankensystem zu stabilisieren, welches dann sofort diesen aus den Steuern der nächsten 20 Generationen bezahlten - natürlich zinsfreien - Kredit als Millionen-Provision an seine unzurechnungsfähigen Führungskräfte weiterleitet, die uns die Misere ja erst eingebrockt haben?

Wieso gilt die schöne patriarchale Grund-Regel "Stehe ein für dein Handeln und trage die Konsequenzen wie ein Mann" eigentlich immer nur für diejenigen, die eh schon als Esel vor den Karren gespannt sind? Und wird ad hoc zu "Nach mir die Sinnflut" wenn es um diejenigen geht, die auf dem Kutschbock sitzen? Liegt es vielleicht an der Mitgliedschaft in einer christlichen Partei - oder in einer Kirche, die zwar Andersdenkende haste-nicht-gesehen exkommuniziert aber pädophile Pfarrer unter den Schutzmantel des Schweigens nimmt? Muß einer entweder fundamentalistischer Christianist oder Hedge-Fonds-Manager werden um dem Zusammenbruch zu entgehen weil er teilhaftig werden darf an einem staatlich subventionierten prämortalen Paradies?

Vielleicht ist es doch nicht so schlecht, den Tatort zu schauen, denn was eine wirklich lernen kann dabei ist, dass die Regeln immer nur für die einen gelten - und nie für alle. Glauben oder - in diesem Falle - Geld und Position waren schon immer nützlich wenn es darum ging, sich zugriffsfreie Handlungsspielräume zu gestalten.

Vor einigen Wochen habe ich die von Jutta Ditfurth geschriebene Biografie Ulrike Meinhofs gelesen - die interessanter Weise auch im Tatort vorkommt, und zwar als "Herr Baader-Meinhof" (!). Ja, der deutsche Sumpf, den man so "Zeitgeist" nennt ist wahrlich über dieses "Terror-Trauma" noch nicht hinweg gekommen, wenn über 30 Jahre nach ihrem Tod noch nicht einmal das Geschlecht dieser Frau eindeutig zu bestimmen ist. Dabei wäre aus ihrer Geschichte einiges zu verstehen über dieses, unseres Land. Wie zum Beispiel mit denjenigen verfahren wird die es wagen, den Finger auf die Wunde zu legen: Recht gilt nur für diejenigen, die im Recht sind.

Ulrike Meinhof war eine, die mit diesem "Umstand", dass wir in einem System leben, in dem viele für die überbordende Triebbefriedigung von wenigen mit ihrem Leben bezahlen, nicht einverstanden war. Wie der wahnsinnige Hausbesitzer mit dem "Ei" im Kopf im Tatort hat sie verstanden, dass auch ein lebenslanges Schuften um einen nie endenen Kredit zu tilgen - der ja nur deshalb so hoch ist, weil wir Geld dafür bezahlen, Geld zu bekommen - Sklaverei ist. Denn wir sind nicht frei, uns "dagegen" zu entscheiden. Die Strafe dafür ist der Ausschluss. Eben so, wie er es ist, wenn wir uns nicht brav an die Rückzahlungsvereinbarungen halten. Weil wir unseren Job verlieren. Weil die Bank dem Unternehmen, das unseren Job bezahlt, die Kredite kündigt ...

Wir die drei Familienväter, die im Tatort eine Bank überfallen, um sich das Geld zu beschaffen um die Bank zu bezahlen ... - hat auch Ulrike Meinhof versucht, den strukturellen Zugzwang dieses Systems umzukehren, um ihm zu entkommen. Und um Exempel zu statuieren, die es vielen möglich machen sollten zu erkennen, welchem Mammon sie da in Wirklichkeit dienen.

Aber wie diese drei zugegebener Maßen nicht besonders originellen Schuldner hat Ulrike Meinhof die Rechnung ohne den inneren Wirt gemacht: Wir selbst sind es, die diesem System durch unsere lebenslang genährten Ängste und Erwartungen den Wachstumsboden bereiten.
Nur aus diesem Grund war und ist es möglich, Menschen, die vor mehr als dreißig Jahren vier Banken ausgeraubt und einen Menschen getötet haben (und das zu einer Zeit, als bereits eine unvorstellbare Hetze und Verfolgung über sie hereingebrochen war) bis zum heutigen Tag zum Schreckgespenst zu machen, das eine ganze Nation in Schach hält: Als "Terroristen", die nichts anderes im Sinn haben als unsere gut bürgerliche Stabilität zu gefährden. Und das natürlich mittels Bombengewalt. Weil wir den Feind brauchen um einen Grund zu haben, nicht vor die Türe zu gehen und uns das marode Haus zu begucken, in dem wir alle wie Platonschen Hunde vor dem Fernseher hocken und glauben, die 3D-Animation sei die Wirklichkeit. Und die Ruine ein Palast für den sich die ganze Plackerei lohnt.

Die "Bombe" im Tatort war eine Attrape. Die ein hysterisches Polizeiaufgebot auf den Plan gerufen hat. Die Bomben unter unserem Hintern, die Zurücklassenschaften der Amerikaner und die Müllhalden von 40 Jahren Atomstrom sind das genaue Gegenteil davon: Sie fliegen uns zwar nur stückchenweise und nahezu unmerklich, dafür aber noch in 1000000 Jahren um die Ohren. Wir sterben langsamer, dafür aber sicher. Nur ruft das (leider) keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor. Geschweige denn eine Sondereinheit. Im Gegenteil: Wenn einEr doch so blöd ist, danach zu fragen oder gar eine Haltung einzufordern muss sie oder er schon gewaltig aufpassen, nicht gleich als "StaatsfeindIn" unter Beobachtung gestellt zu werden. Und da isses dann gleich aus mit Kreditwürdigkeit und so.

Franz Xaver Kroetz, der den "durchgeknallten" und von allen (bis auf die Kinder !) verachteten Wohnwagenbesitzer spielt, drückt es im Tatort einmal so aus: Wir sind alle deppert. So isses. Solange wir brav an die Regeln glauben und nach ihnen spielen, die Augen zumachen, wenn die Erfinder derselben schummeln oder nach Bedarf neue aufstellen - solange haben wir es wahrscheinlich nicht anders verdient.

Wir sind alle Monopolyisten. Hopefully gehen wir über Los und ziehen DM 2000 ein - auch wenn die Währung schon lange nicht mehr zählt. Doch noch unbemerkt fliegen immer mehr von uns raus - weil wir uns weder Häuser, geschweige denn ganze Straßenzüge oder Bahnhöfe leisten können, für deren Benutzung wir dann fulminante Mieten verlangen um weitere Straßen, Häuser und Bahnhöfe zu kaufen. Die wiederrum nur von denjenigen benutzt werden dürfen, die das nötige Kleingeld haben. Und wenn wir ganz schlau sind, lassen wir uns die Bahnhöfe samt Zügen und Löhnen für MitarbeiterInnen von denjenigen subventionieren, die am Schalter dann noch einmal für die Beförderung bezahlen dürfen. Weil sie zu doof sind um zu bemerken, dass der Zug eigentlich der ihrige ist, würde man die Regel "Mir gehört, was ich bezahlt habe" tatsächlich einmal anwenden.

Und warum schreibe ich jetzt darüber, außer das ich mich aufrege? Was hat das mit Umzug, Auszug und Veränderung zu tun? Eine ganze Menge, meine ich.

Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Andreas Baader und all die anderen, die glaubten, durch ihre selbstverachtende Konsequenz dieses System unübersehbar deutlich für alle Betroffenen zu enttarnen (denn das war ihr Ziel !) könnten uns gelehrt haben, dass wir nicht erkennen können, was wir nicht sehen wollen. Wir wollen mitspielen beim Monopoly und treten gerne diejenigen mit Füßen, die rausgefallen sind oder genauer hingucken. Ein Konkurrent weniger um den Schatz am Ende des Regenbogens.

Wir wollen dazu gehören. Wir wollen gerne alles richtig machen. Wir lieben Regeln, weil sie die Welt so schön ordentlich gestalten. Und wir sehnen uns nach Strafe, wenn es einEr wagt, die Regeln in Frage zu stellen.

Und weil das so ist, wollen wir welche, die die Einhaltung der Regeln überwachen. Eine Kanzlerin. Einen Vollstreckungsbeamten in der Bank. Eine Finanzamtsmitarbeiterin. Einen Richter. Eine Gefängniswärterin. Und einen, der entscheidet, ob jemand wirklich tief genug unten angekommen ist, um bedürftig zu sein. Denn 324 Euro im Monat dürfen nicht leichtfertig ausgegeben sein. Wo kämen wir denn da hin.

Unsere Kinder sollen lernen, dass man nicht alles haben kann, was man haben will. Während wir überlegen, ob wir uns den nächsten Konsumentenkredit leisten können. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Ich habe lange auch so gelebt. Ich war hoch verschuldet, weil ich ein Wohnzimmer, ein schnelles Auto und überhaupt Geld haben wollte. Ich wollte mitmachen - und schließlich, machen es nicht alle so?
Irgendwann habe ich begonnen, mich zu wundern. Warum ich rund um die Uhr arbeitete und mein ganzes Geld wie Wasser aus der Tür floss. Weil ich all die vielen Dinge und Menschen brauchte um das Geld zu verdienen, das all die vielen Dinge und Menschen verschlangen ...

Gerettet hat mich mein Kind. Da ging das dann plötzlich nicht mehr, 16 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche (als Selbständige) zu arbeiten. Und da war ich dann auch ganz schnell draußen. Mütter mit Kleinkindern sind eh fürs konkurrenzintensive Mitspielen nicht geeignet, fand mein damaliger Hauptauftraggeber und kündigte meine existenzsichernden Verträge. Frau wird zu anfällig.

Irgendwie ist es mir gelungen, das Hamsterrad anzuhalten. Die Bremsspuren haben noch ein paar Jahre angehalten, schließlich hatte ich ja noch einiges "abzubezahlen". Heute bin ich nahezu schuldenfrei und den Rest schenke ich der Bank. Schließlich verdienen die ja nur daran, dass ich ihnen etwas schulde. Nur gibt es bei mir nichts mehr zu holen. Und vor ein paar Monaten bin ich sogar aus dem Finanzamt ausgetreten.

Was sich jetzt so "einfach" daherschreibt ist das Ergebnis eines langen Ringens mit meinen inneren Fesseln, die mich an dieses System gebunden haben. Dazugehörigkeit. Anerkennung. Wertschätzung. Ein guter und richtiger Mensch sein. Unabhängigkeit. Sicherheit. Und nicht zuletzt das Gefühl, mir stünde eine bestimmte Form von "gutem Leben" zu. Erwartungen und Vorstellungen. Das Programm, das wir alle eingeschrieben bekommen, wenn wir hierzulande 13 Jahre zur Schule, 10 Jahre zu Uni und 40 Jahre arbeiten gehen. Das wir jeden Tag in der Zeitung nachlesen können. Und mit jedem Tatort noch einmal spannungsreich aufgearbeitet bekommen. WelchEr möchte denn schon gerne als AußenseiterIn "in der Gosse" - oder im Wohnwagen - landen? Bei Pornos und Karl Marx?

Ich kann mir heute schlechter Gesellschaft vorstellen. Zum Beispiel die meiner "Hausbank". Oder - im akuten Fall - des Kiefernorthopäden meiner Tochter. Noch so eine Vorstellung - und wieder eine Geldgrube, in die ich´s hineinschaufeln könnte. Damit mein Kind aussieht wie alle. Mit geraden Zähnen. Nunja, im Monopoly ist das einzige Unterschiedsmerkmal ja auch bloß die Farbe. Der Männchen. Nicht wahr?!