Freitag, 9. September 2011

Erneuerung


Im tibetischen Buddhismus gibt es ein Ritual, das sich "Erneuerung des Göttlichen" nennt. Gläubige Buddhisten erneuern ihre Beziehung zum Göttlichen, die vor allem eine Beziehung zum "inneren Göttlichen" ist, indem sie sich zum Beispiel auf eine Pilgerfahrt begeben. Dahinter steht die Auffassung, das eine Beziehung, die nicht gepflegt wird stirbt. Und mit ihr auch die Wesen, die in ihr verbunden sind.

Meine "Pilgerfahrt" hat mich innerhalb von 6 Wochen von Portugal über Spanien nach Frankreich, in die Schweiz und Deutschland geführt. Ich habe eine Karte dieser Tour gezeichnet - wie eine große Leminiskate liegen die Spuren da auf dem Land. Ein Balanceakt, in die Unendlichkeit geschrieben.

Die äußeren Zeichen gemahnen an ein Gleichgewicht, das für mich auch im Inneren herzustellen war. Zwischen dem, was ich verlassen und dem, was neu zu beginnen ich erschlossen hatte. Zurückkehren, um noch einmal zu überprüfen ob die Schritte, die Entschlüsse richtig waren, ob ich die Zeichen richtig gedeutet und mich auf das Abenteuer Leben wirklich eingelassen hatte. Ob mein Mut ausreichte, meine Fähigkeit, das sich-noch-nicht-Offenbarende geduldig abzuwarten, die Übergänge zu meistern und mich im Zaunreiten zu üben.

Nach Deutschland zurück zu kehren, auch nur für einen überschaubaren Besuch, war schmerzlich. Das Haus, unsere "in Würde gealterte Schönheit" lieblos behaust von Menschen, die dem Alter nichts oder nur Beschwernisse abzugewinnen vermögen. Der Garten überwuchert, all die liebevoll gepflegten schwächeren Pflanzen verdrängt durch das, was an diesen Platz ohnehin wirklich hingehört. Es war eben doch auch ein Kampf gegen Windmühlen. Oder anders gesprochen: Das Land lehrte mich, dass meine Vorstellungen immer auch meinen Kraftakt brauchen, um Geltung zu erlangen da, wo andere Gesetze herrschen.

Nach Deutschland zurück zu kehren war eine Konfrontation mit meinem Selbstbild: Jener Raum greifenden und Raum gestaltenden Herrscherin ihres eigenen Reiches, in dem vor allem meine Regeln Geltung haben. Weggehen heisst eben auch Loslassen, heisst das bisher bewohnte Reich anderen Kräften zu überlassen, die eine eben nicht und schon gar nicht aus der Ferne kontrollieren kann. Der Ausgang eines solchen Unternehmens ist stets ungewiss, und in meinem Falle ist das mühsam aufrechterhaltene Gebäude gleich mit meinem Weggang über sich selbst zusammen gebrochen. Wodurch mir klar wurde, wie viel ich gehalten habe.

Was mich Deutschland auch gelehrt hat war die Richtigkeit meines Entschlusses. Auch wenn hier in Portugal andere Spiegel auf mich warten, in die zu blicken nicht minder schwerwiegend und entlarvend ist, so schenken mir doch die Stille und die Sanftmut des Landes, die Einfachheit des Lebens jene Wachheit des Herzens, die Lehren nicht zu Strafen, sondern zu Wachstumsprozessen macht.

Nach Deutschland zurück zu kehren war eben auch eine Erneuerung: Gelebter und geliebter Beziehungen zu Menschen, vor allem Frauen, die mein Leben durch ihre Wachheit, ihren Mut und ihre Entschlossenheit stets bereichern. Erneuert die inneren Bande, die mich mit dieser gebeutelten Heimat verbinden, dieses überbevölkerte Vorzeigestück menschlichen Schaffensdranges. Und auch hier sind es die Bäume, die Steine, vor allem der Fluss Rhein, die mein Herz berühren, die Schwere und Tiefe des Landes in denen ich mich wieder finden kann. Ja, das bin ich auch, und nach Deutschland zu reisen war auch eine Erneuerung zu diesen Aspekten des Göttlichen in mir.

Und wie in den Fingerfadenspielen der Kindheit habe ich auch gesehen, was mich immer noch bindet, wo ich noch eingewoben bin in das Textil der Gegenwärtigkeit. Mein Besitz, der hier noch verwahrt steht, geliebte Möbel und vor allem Bücher. Gedankenschätze, die ich hüte, weil sie mich immer wieder auch nähren, so wie bei diesem Besuch. Wo wäre ich geblieben ohne sie?
Hierher, nach Portugal kann ich sie nicht tragen, hier verflüchtigt sich dieser Zufluchtsort sofort, nicht nur aus reinem Platzmangel. Rückzug in Gedankenräume ist hier weder notwendig noch sinnvoll, Fremdgedachtes untauglich für die Präsenz des Seins. Hier ist, was in Deutschland nur Vorgestellt ist - ob Spirituelles, Atmendes oder Unterbau.

Was mich in Deutschland rettet, wird hier zur Last. Was mich hier belastet, wird aus der deutschen Ferne betrachtet zur Bedeutungslosigkeit. So hängen diese beiden Teile meines Lebens zusammen, irgendwo um ein gemeinsames Zentrum gespannt, das geografisch an der Ardeche liegt. Der rote Faden ist die Frage der Grenzen: Wo liegt mein Reich, wo endet es? Wie viel Schutz und Abgrenzung braucht es wirklich? Wo halte ich fest, was längst durchlässig geworden ist und wo vernachlässige ich, was Zuwendung und Pflege, was Schutz bedarf?

In Cambra Skadés Buch "Am Feuer der Schamanin" gibt es eine anrührende Geschichte von zwei Kriegerinnen, die ausziehen, einander zu bekämpfen. Irgendwann erkennen sie, dass es in Wahrheit um Heilung geht. Die Kriegerin, die ihr Messer verwendet, um Krankes, Kränkendes herauszuschneiden und zur Heilerin wird. Ihr Symbol ist die liegende Acht.