Montag, 2. August 2010

Pflanzenzeit. Sommerzeit. Zeitlos.

Nur noch wenige Tage und wir sind dann bald schon 6 Wochen hier. Und langsam spüre ich das Ankommen kommen …
Nach den hektischen ersten Tagen mit viel Herum-Gerenne in arger Hitze um all die Dinge zu tun, die eine so zu tun gedenkt - Schattendächer bauen, Tische kaufen, Platten, Krüge, Schuhe, Hüte …. kaufen, ans Meer fahren, in die Berge, diesen schönen Platz und jenen Menschen treffen - schleicht sich nun doch so langsam die Langsamkeit in meine Glieder. Schlafen. Schlafen und Essen. Und wieder schlafen. Musik hören. Dem nächtlichen Grillenkonzert lauschen. Und den Gesängen des Bodens … und immer mehr und noch mehr Lauschen: Dem Wind in den Olivenhainen. Dem Knistern der glühenden Erde, wenn die Lehmschicht in der Mittagshitze birst. Dem morgendlichen Schmatzen, wenn die vom Tau noch feuchten Gräser eingesogen werden vom Durst des Landes … Und ab und an am Computer sitzen, nicht all zu häufig - und hast du nicht gesehen hat dich eine Spinne in ihr Netz eingesponnen, wo du eben mit einer Freundin im weltweiten über Vernetzung philosophiertest …

Zum Pinkeln gehe ich fünf Schritte vor die Tür - keine Verschwendung von Trinkwasser mehr für die Entsorgung von Körperflüssigkeiten. Cremes und Lotionen sind im Korb unter dem Bett verschwunden - da ich mich sowieso nur noch recht selten mit Wasser benetze, um mich zu waschen sind sie überflüssig geworden. Meine Haut- und Körperfette haben diese Arbeit wieder aufgenommen. Ich rieche nach Meerwasser, Schweiss und Wind - und meine jahrelang von Neurodermitis geplagte Haut kommt völlig zur Ruhe, findet ins Gleichgewicht ganz ohne Mittelchen und Kuren. Weniger ist halt doch erstaunlich oft mehr.

Ich wohne draussen, bald 20 Stunden unter freiem Himmel. Ich esse hier, schlafe hier, schreibe, denke, liebe hier. Fast alle Habseligkeiten stehen Draussen, der Sonne, dem Wind und den MitbewohnerInnen ausgesetzt, die ihre Spuren ganz selbstverständlich hinterlassen. Spinnennetze im Wasserkrug, Ameisenaufläufe in den Aquarellfarben und die Spuren einer nächtlichen Besucherin auf dem noch feuchten Bild im Tagebuch … Ich fühle mich nicht ausgesetzt, sondern hineingenommen und bin ganz berührt von so viel freundschaftlicher Platzmacherei für mich Riesin mit Wagen. Immerhin ist hier - wie eben überall - jedes Fleckchen Erde von vielen Völkern bewohnt. Die, so scheint es, mit Assimilation und Zuwanderung keine Probleme haben. Statt dessen meine überflüssig gewordenen Unterhosen zum Nestbau verwenden. Recycling für die Schutzzonen des spätkapitalistischen Neo-Patriarchats.

Wir Menschinnen und Menschen hier tun uns da schon schwerer mit dem Zueinander-Kommen, Aufnehmen und Freiraum schaffen für Ungewohntes und Neues. Starre Tierchen sind wir, die oft nicht einmal mehr wissen, wie und wo es zu dieser Halsstarrigkeit gekommen ist. Meins. Deins. So, wie ich eben bin. Und nicht eben so wie du. Da werden Diskussionen und Aus-Einander-Setzungen notwendig, obwohl der Wunsch doch Zusammenkommen ist. Da müssen Grenzen begangen, ausgelotet und abgesteckt werden, bevor der erste Abriss beginnen kann. Da muss meines erst zu mir finden, damit ich dir das deine lassen kann.

Aber so ist es eben mit uns Menschinnen und Menschen, jüngstes Hervorspringsel einer lustvoll schöpferischen Gestaltung. Ein bisschen wackelig noch auf unseren Beinen staksen wir durch ein Meer Jahrmillionen alter Steine die schon längst hinüber gegangen sind ins Land der äusserst beweglichen Bordüren. Tanz, ja. Bewegung, ja. Fluss auch. Ornamentalik der Begegnungen, aber kein entweder. Oder.

So arbeiten wir uns hier gemeinsam zu Zwanzigst durch die Häute der menschheitlichen Frühpubertät. Und stossen auf erstaunliche Erkenntnisse. Frauen. Und Männer. Felder, die einander berühren. Hervorbringen. Stärken, wenn sie in sich selbst schwingen, schwächen, wenn sie nur auf die Aufnahme äusserer Impulse ausgerichtet sind. Und natürlich, der Schmerz des Geboren Werdens. Des Hervor-Gebrachten und Gebracht Werdens. Die Magie der Häute, die es abzustreifen gilt, damit das alte Neubekannte sein Gesicht zeigen kann, Maske des allzu Menschlichen.

Und ich werde weiter zur Pflanze. Atme Sonnenlicht und lagere die Süße des Seins in meine Zellen.

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