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Die Wächterin am Weg zu meinem Haus - umgestürzt in der Luzen-Nacht am 13. Dezember, dem Beginn der Tödin-Zeit - offenbart sie ihre "wahre" Erscheinung. Hekate, die, die in den Bäume wohnt. |
Auf meinen letzten Blogeintrag, „In den Zwischenräumen leben“ haben mir erstaunlich viele Menschen geschrieben. Alte Freundinnen, zu denen der Kontakt schon lange eingeschlafen war, Menschen, die sonst eigentlich nicht mit mir kommunizieren und schon gar nicht über so sensible Themen wie die Angst. Aber irgendetwas scheint an dieser zu sein, dass Menschen förmlich zwingt, sich zu äußern, Position zu beziehen. „Hüterin Angst“ heisst sie auch, Schwellenwächterin. Nein, an ihr kommt keinEr vorbei.
Mitgefühl entsteht, Mit-Fühlen, erkennen, wahrnehmen. Da ist etwas Bekanntes, Vertrautes. Aus Mit-Empfinden entsteht der Wunsch, Mit-zu-Teilen. Geteiltes Leid ist halbes Leid, sagt der Volksmund.
Abwehr taucht auf. Da suhlt sich eine im öffentlichem Raum in ihrem Schmerz. Gibt auf. Geht unter. Du bist wohl verliebt in dein Leid, zelebrierst es, dehnst es aus bis on Horizont zu Horizont nichts mehr ist außer dies: Opfertum. Die Kultur der kollektiven Täter verträgt Konfrontation mit den Ergebnissen des eigenen Wirkens schlecht. Wir haben zu glänzen und den Sieg davon zu tragen - auf allen Ebenen.
Beide Reaktionen haben mich verwundert. Nein, mein Schreiben ist kein Schrei der Verzweiflung nach Wahrnehmung. Und nein, ich fühle mich nicht als Opfer, auch wenn die Angst auch das Resultat einer Opferung ist. Und ja, ich finde, wir sollten uns vergegenwärtigen, was und welche wir opfern. Und nein, es geht mir nicht um die Vernichtigung der Angst. Es geht mir um die Ent-Kolonialisierung meiner Empfindungen, meines lebendigen Leibes und Lebens.
Am Anfang war das Dunkel. Und dann kam das Licht. Zerriss die Stille und brachte ein Ei hervor. Das auch zerbrach - und heraus purzelten all die Erscheinungen der Welt. Und oben und unten, rein und befleckt waren geschaffen. So einfach ist das in fast allen neuzeitlichen (!) Schöpfungsmythen der Welt. Speziell an unserer, patriarchal gefärbten Kultur(en) ist, dass das „Unreine“ stets das Leibliche/Weibliche ist während rein und unbefleckt nur das Oben ist, und in diesem Falle natürlich männlich noch dazu. Wie gut, dass das „Oben“ noch dazu der Berührbarkeit entzogen ist. Als leibliche Wesen, angewiesen auf die körperliche Erfahrbarkeit, können wir nur glauben, was uns übers „Oben“ berichtet wird. Von den Erleuchteten, die seiner Makellosigkeit teilhaftig sind. Eben weil sie die Anbindung an die Leiblichkeit scheinbar überwunden haben. Alles strebt zum Licht.
Aber ich komme aus dem Dunkel. Aus dem warmen, feuchten und nährenden Leib meiner Mutter. Wie das Gras und die Bäume, tief verwurzelt in dem, was einEr nicht sehen kann. Und von dem wir doch alle wissen, wie es sich anfühlt.
Jeden Abend versinkt die Sonne hinter dem Horizont, das Licht schwindet - und plötzlich wird deutlich, dass wir da die ganze Zeit in einer Blase geschwommen sind, blauviolettgrünweißrotrosaschillernd, doch drumherum ist nach wie vor - Dunkel. Samtschwarze Nacht, nur hie und da gesprenkelt mit Lichtpunkten, Sternen, von denen die meisten schon verloschen sind. Ihr Licht, eine Erinnerung aus der Vergangenheit, eine Vision der Zeitlosigkeit der Schöpfung. Jetzt, eben und nachher fallen in Eins, fallen ins Dunkle, sind in ihm aufgehoben, eingebettet.
Um uns Dunkel. Und in uns Dunkel. Mehr als Dreiviertel unserer Oberfläche ruhen im ständigen Dunkel. Ach, was sage ich, Neun-Zehntel. Im warmen, lichtlosen Gluckern und Schmatzen des Leibes. Licht, das braucht eigentlich bloß meine Netzhaut, selbst meine Haut schützt sich, instinktiv, wenn zu viel Licht einfällt. Die Wärme des Lichtes, ja - aber heisst das, dass das Dunkle kalt ist?
Seit ich in Portugal lebe, weiß ich, dass das Dunkle selten völlig schwarz ist. Seit ich an 330 Tagen und Nächten draußen lebe, ist mir die Nacht, das Dunkle vertraut geworden. Die beredte Stille. Das lichte Schwarzgrauviolettgrünblauweißumbraocker .... . Die Stimmen der Nachttiere. Die Landschaft in ihrem Wärmekleid. Und es braucht nur wenige Nächte im Haus und schon geht diese Vertrautheit wieder verloren. Von Innen durch die doppel-verglasten Fenster her betrachtet, bei elektrischem Licht sitzend ist die Nacht nur schwarz, abweisend und bedrohlich. Es ist dieses Licht, dass dem Dunkel die Heimat abspricht. Das es uns fremd und vor allem „anders“ er-"scheinen“ lässt.
Weil ich das weiß, weil ich es an meinem Leib und in meinem Stoffwechsel erfahren habe, weiß ich, dass es sich mit dem Dunkeln in unserer Seele genauso verhält. Erst der „Schein“ des industrialisierten Lichtes, des „Funktionierens“ und der Denkungsweise des „Arbeitens“ macht das Dunkle, die Heimat unserer Seele zur allumfassenden Schwärze - wobei mir die Farbe die Verwendung in diesem Zusammenhang verzeihen möge - noch weiß ich kein besseres Wort.
Schwarz ist die Angst, dunkel greift sie nach dem Licht unserer Seele - so oder ähnlich lauten die Beschreibungen. Sumpfig, faulig ist ihr Terrain, voller stinkender, verrottender Emotionen. Tod und Verderben folgen ihr auf dem Fuße, nichts, was sie berührt, bleibt unversehrt.
Eine Freundin schrieb mir vom inneren Bild ihrer Angst: Ein kleines, verwildertes und verwahrlostes Mädchen, mit schmutzigen Kleidern und verfilztem Haar, alleine hockend in der Dunkelheit auf einem Felsen überm tosenden Meer. Besser könnte es einEr nicht beschreiben.
Mit meiner Angst lebend und mich mit ihr vertraut machend, offenbart mir, dass sie die Hüterin meiner Wildheit ist. Jener Aspekte in mir, die nach wie vor undomestiziert und dank ihrer Verborgenheit, Widerborstigkeit und Unzähmbarkeit unkolonialisiert sind. Es sind die „Primitiven“, die sich den Verlockungen von Bildung für alle, Fressen bis zum Umfallen, Coca-Cola, Levis-Jeans und Sneakers gegenüber unbeeindruckt zeigen. Das, was es da zu wissen gäbe, ist uninteressant weil nicht spürbar. Das, was es da zu essen gäbe, macht nicht satt. Und die Kleidung verkleidet lediglich, was die samtschwarze Nacht und den funkelnden Tag fühlen will. Die Erde unter den bloßen Füßen.
Wenn ich schreibe, ich kenne kein Gegenmittel gegen die Angst, dann ist das Aufgabe. Aufgabe eines Kampfes gegen die Aspekte des Lebendigen, die nicht „funktionieren“. Und Hinnahme. Des Geschenkes eines nach wie vor, trotz aller Morde lebendigen Lebens, das sich nicht abspeisen lassen will.
„Natürlich“ fürchte ich die Angst - weil sie mir in die Haut schreibt, wo ich schon abgestorben bin. Das schmerzt - doch plötzlich dann das Wissen - was schmerzt kann noch nicht ganz tot sein! Ist der Tod etwa doch nicht so ultimativ, so endgültig wie ich zu glauben gelernt habe? Ist es die schwarze Alte, Mutter Tödin, die Tod-im-Leben und Leben-im-Tod Göttin, die da sitzt in dunklen Teil meiner Seelenlandschaft und mir zuraunt: Glaube nicht alles, was du siehst? Nicht alles, was glänzt, ist gold!
Man hat mich gelehrt, dass das Leben feindlich ist. Dass ich mich schützen muss, um zu überleben. Dass es ein richtiges, ein „gefälliges“ (!) Leben gibt und ein falsches, ein „gefallenes“ (!). Das eine verheißt Belohnung, das andere Strafe. Dennoch: Richtig bin ich, wenn ich gefalle. Oder auch auf die Täuschungen herein. Falle.
Auf jeden Fall - eine Falle. Und wie jedes lebendige Tier nage ich mir seither das Teil ab, das in Gefangenschaft geraten ist. In der Hoffnung, dann zwar versehrt, aber wieder frei zu sein.
Wächterin Angst zeigt mir den Schmerz dieser Selbstverstümmelung. Und den Mut und die Kraft die dennoch auch dort sind. Einen Teil zu opfern für das Überleben des Ganzen.
Meine Freundin schreibt, es geht um die Zuwendung der Erwachsenen zu diesem wilden, ungezähmten Kind. Um Unabhängig zu werden von der Zuwendung der anderen, Außen. Doch ich frage mich: WelchEr ist denn da „erwachsen“? Müssten wir nicht vielmehr sprechen von denen, die „entwachsen“ sind? Warum erscheint die Wächterin Angst fast immer in unserer kindlichen Gestalt? Weil sie so hilflos ist, so angewiesen, so abhängig? Hätte sie dann wirklich so lange überlebt?
Ich befürchte, die Trennung der eigenen Seelenlandschaft in „Kindlich/Kindisches“ und „Erwachsenes“ ist nur ein weiterer Versuch, die Sache unter Kontrolle zu bringen. Auch die Missionare und Entwicklungshelfer gingen/gehen an die so genannten „Primitiven“ wie an Kinder heran, unvollkommene Erwachsene eben, für die Sorge getragen, die „erzogen“ werden müssen. Wenn wir dem zustimmen, machen wir uns zu Mithelfern unserer eigenen Kolonialsisierung und der anschließenden Ausbeutung unserer freien Seele.
Die Wächterin Angst trägt das Gesicht eines Kindes, weil ich nur noch durch dieses Bild zu erweichen bin. „Kindheit“, das ist das sentimentale Reservat eines verkitschten Bildes von Heilsein. Verdrängungsort all unserer Sehnsüchte. Das Kindchen-Schema löst unser versteinertes Herz, unsere Brieftaschen und unser Mitgefühl.
Die Wächterin Angst ist klug und über alle Klischees erhaben. Sie nutzt, was ihr zur Verfügung steht. Sie zeigt sich uns im Bild des hilflosen Kindes, damit wir ertragen können, was wir da sehen. Damit unser Leib erwacht, unsere Wasser zu fließen beginnen, wir wieder fühlen, was es zu fühlen gibt: Dieses da, was uns angeboten wird und wurde, ein „er-ent-wachsenes“ Leben - ist ein Verrat. Ein Verrat an unserem Geburts-“Recht“, dass Leben ganz und gar zu besitzen/bestehen/erfahren. Wir können ihm nicht entgehen. Wir können es nur so lange verdrehen, bis es unkenntlich geworden ist.
Ich habe meine Angst eingeladen, sich ihrer wahren Gestalt zu offenbaren. Ich habe versprochen, sie/mich nicht zu (ver-)trösten. Ich habe mich bereit erklärt, zu empfinden, was es zu empfinden gibt. Zu hören, damit ich fühlen kann. Deshalb kenne ich - zum Glück - kein Gegenmittel.
Noch traut sie mir nicht wirklich über den Weg. Noch springt sie mich an, in den kalten Morgenstunden, in der Dämmerung, in den Zeiten dazwischen. Wie Mantren flüsternd offenbart sie mir meine einbrannten Glaubenssätze: Ohne Erfolg bist du nichtig, ohne Geld wirst du vergehen, ohne Gesellschaft vereinsamen. Du bist nicht, wenn dich keinEr sieht. Wenn kein Licht eines anderen Bewußtseins auf deine Schatten fällt. Suche nach Erleuchtung, und du wirst dieses Leben verlieren.
Inzwischen wache ich dann ganz auf und lausche ihr. Spüre ihrem Zerren und Ziehen in meinem Körper nach. Wo wird es mir eng, was beginnt zu surren und flirren wie zartester Flügelschlag unter der Haut? Welchen Tanz tanzt mein Herz im Überspringen von Rhytmen, im Aussetzen? Und mein Atem?
Die Seele ist ein Schwarm, sagen die Yoruba. Sie flattert mal hierhin, mal dorthin. Sie ist neugierig und schreckhaft. Sie ist hier - und schon fort.
Die Mitochondrien sind die Grenzen der Zellen, Schwellenland, Hüterinnenheimat. Sie werden lebendig nur von Mutter auf die Tochter vererbt. Bei Männern sind sie inaktiv. Meine Ahninnenreihe, in jeder lebendigen Zelle meines eingeborenen Leibes. Voller Ahnung, Wissen, das sich nicht ohne weiteres offenbart, in Worte fassen lässt. Hier wohnt die Angst, Begleiterin von Frauengeneration zu Frauengeneration. Meine Angst ist auch die Angst meiner Mutter, ihrer Mutter, deren Mütter. Sie gab mir Form. Gestalt. Mein Leib ist meine Seele, meine Seele mein Leib, untrennbar. Sie hütet diesen Schatz, indem sie mich die Vernichtung zu wissen schaut im Dunkeln. Ihre Freierfüsschen. Ihre Gutsle. Ihre Genüsse. Sie sagt: Dies ist nicht durchzustehen - und stellte mich auf tönerne Füsse.
„Doch“, sagte Frieda Kahlo, „wofür brauche ich Füsse, wenn ich Flügel habe!?“